Der Gesang des Wasserfalls
Lester.«
Er grinste über den Wechsel in ihrer Stimme, die jetzt leicht und fröhlich klang. »Wird Ihnen guttun. Sie kriegen also was von dem zu sehn, wovon Ihre Freundin geschrieben hat? Tun Sie bloß auf'n Jumbi aufpassen«, neckte er sie. »Und ich warne Sie, nich einer kommt vom Kaieteur zurück und is noch derselbe. Er verändert die Menschen. Er hat 'n Geheimnis.«
»Was für ein Geheimnis?«
Lester grinste wieder. »Wenn ich's Ihnen sage, isses kein Geheimnis mehr!«
Er fuhr sie nach Hause zurück, und Madi war überrascht und froh, Connors Auto in der Einfahrt zu sehen. Sie winkte Lester zu und bestätigte noch einmal ihre Verabredung für den nächsten Tag. Als sie die Treppe hinauflief, rief er ihr nach: »Wir müssen Sie ordentlich ausrüsten. Sie können nich in den Dschungel gehn ohne ordentliches Zeug!«
Connor ließ die Zeitung sinken und erhob sich vom Sofa, kam ihr entgegen und umarmte sie fest. Dann lockerte er die Umarmung und sah ihr ernst in die Augen. »Geht es dir gut? Ich bin auf dem Weg zur Mine, um den neuen Generalmanager kennen zu lernen. Matthew hat mich über die Drogen in
New Spirit
informiert und über das Gespräch, das er mit Ernesto hatte. Das lässt den Tod des Mannes in einem vollkommen anderen Licht erscheinen. Es tut mir so leid, dass du in so was verwickelt wurdest, Madi.«
Er beugte sich herab und küsste sie sanft, und als seine Lippen die ihren berührten, erwiderte Madi voller Leidenschaft und Verlangen seinen Kuss, plötzlich überwältigt von ihrem körperlichen Bedürfnis nach Schutz und Fürsorge. Sie lag in seinen Armen, hielt ihn fest, unfähig, die Tränen zurückzuhalten, als das angestaute Entsetzen, die Angst und die Traurigkeit des letzten Wochenendes sich Bahn brachen.
»Lass es raus, Madi, und dann vergiss es.« Connor schloss sie fester in die Arme und hielt sie, bis sie sich etwas erleichtert fühlte, ihm ein sanftes Lächeln schenkte und sich die Tränen abwischte.
»Entschuldige, aber jetzt geht es mir besser. Ich glaube, ich brauchte das. Danke, dass ich mich an deiner Schulter ausweinen durfte.«
Connor betrachtete Madis weiches, blondes Haar und spürte, dass er gern mehr wäre als nur eine Schulter zum Ausweinen. Madi strahlte eine solche Kraft und Unabhängigkeit aus, und doch wusste er, dass sie hinter dieser Fassade verletzlich und unsicher war, was sie selbst und ihre Zukunft betraf. Er wusste aber auch, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, sich ihr weiter aufzudrängen. Bei einer Frau wie Madi war Geduld erforderlich. Dieser Gedanke überraschte ihn. Geduld bedeutete Zeit, und wer wusste, wie viel Zeit ihnen blieb. Matthew und er hatten sich abgesprochen, Madis Idee, nach London zu gehen, zu unterstützen, aber ihm war klar, dass sie nicht abreisen würde, bevor sie den Trip zu den Kaieteurfällen unternommen hatte, und darüber war er froh.
Der
Blaue Tukan
erwies sich als ein einfacher Coffeeshop, dessen Wahrzeichen ein ausgesägter, blau angemalter Tukan war, der an seinem gebogenen Schnabel hin und her schwang. Madi und Lester trafen kurz vor zehn ein und bestellten Kaffee. Die nächste halbe Stunde verbrachten sie damit, über das Landesinnere von Guyana zu reden. Lester erzählte ihr ausführlich von Sir Walter Raleigh, der im sechzehnten Jahrhundert auf der Suche nach seinem El Dorado zwei Reisen nach Guyana unternommen hatte, um seiner geliebten Königin Elizabeth das Gold zu Füßen zu legen.
»El Dorado, die legendäre Goldene Stadt«, sagte Madi.
»El Dorado, das war zuerst 'ne Person, nich 'ne Stadt«, erzählte ihr Lester. »Es bedeutet ›der Vergoldete‹. War 'n Prinz, der ganz mit Gold bedeckt war. Ein spanischer Eroberer, den Raleigh in Südamerika gefangengenommen hat, der hat ihm die Geschichte erzählt. Wie dieser Indianerstamm diesen Entdecker gerettet hat. Die ham ihm die Augen verbunden und ihn in den Dschungel geführt und die Flüsse rauf bis zu dem Ort, wo der Kriegerkönig und all seine Männer mit Goldstaub bedeckt sind und um sie rum die Goldene Stadt, El Dorado. Raleigh fiel in den Zauberbann. Er wollte keine Ruhe geben, bis er die Stadt findet, aber er hat sie nich gefunden.«
Madi lauschte fasziniert und fügte eine andere Geschichte über Raleigh hinzu. »In der Schule haben wir gelernt, dass Sir Walter jahrelang im Tower von London eingesperrt war und schließlich enthauptet wurde. Er war berühmt dafür, dass er sein Cape vor der Königin ausbreitete, damit sie darüber schreiten konnte,
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