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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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Hinnerk war öfter bei den Deelwaters. Während der
     Erntezeiten half er dort aus und bekam etwas Geld. Noch mehr Geld jedoch bekam er
     vom Pastor, was Hinnerk, der sehr stolz war, jedoch nur dazu bewog, irgendwann auch
     diesen zu hassen und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, nämlich der
     Beerdigung seiner Mutter, aus der Kirche auszutreten. Die Kosten für die Predigt
     könne man sich sparen, jede andere tue es doch genauso gut, sie hörten sich doch
     immer gleich an, nur setze der Pastor den jeweiligen Namen ein, aber dassei ja auch schon eine stramme Leistung. Der Pastor, der viel Geld
     in Hinnerks Studium gesteckt hatte, dessen, zugegeben nicht besonders weitläufige,
     Bibliothek Hinnerk immer zur Verfügung gestanden hatte, war tief gekränkt, nicht
     allein wegen Hinnerks Respektlosigkeit und Undankbarkeit, sondern auch deshalb, weil
     Hinnerk der Wahrheit allzu nahe gekommen war. Doch beide juristischen Examen waren
     schon mit Bravour bestanden, und der junge Anwalt, frisch verlobt mit der
     Deelwater-Tochter, war finanziell nicht mehr vom Pastor abhängig. Der Pastor wusste
     das, und er wusste auch, dass Hinnerk wusste, dass er es wusste, und das ärgerte ihn
     am allermeisten.

    Ich erinnerte mich an Hinnerk Lünschen als einen
     liebevollen Großvater, der die Gabe hatte, überall, wo er sich hinlegte, einschlafen
     zu können, und von dieser Gabe auch weidlich Gebrauch machte. Gewiss, seine Launen
     waren unberechenbar. Aber er war nicht mehr hasserfüllt, sondern ein stolzer Notar,
     stolzer Kanzleiinhaber, stolzer Ehemann einer schönen Frau und damit stolzer
     Besitzer eines stolzen Anwesens, stolzer Vater dreier schöner Töchter und noch
     schönerer Enkelinnen, wie er Rosmarie und mir immer wieder versicherte, wobei er uns
     stolze Portionen Fürst-Pückler-Eiscreme auf die Kristallteller schaufelte. Alles
     hatte sich umgekehrt, jetzt wurde er, Hinnerk, von vielen gehasst, hasste aber
     selbst nicht mehr, schließlich hatte er alles erreicht, was er wollte. Er war immer
     noch der klügste Mann im Dorf, und jetzt wussten es alle.
    Sogar ein Familienwappen hatte er sich malen lassen, um
     seine niedere Herkunft vergessen zu machen, was natürlich Unsinn war, denn
     schließlich kamen die Leute zu ihm, weil er mit ihnen Plattdeutsch sprach, und
     nichtwegen seines hohen Stammbaums. Also blieb das gerahmte
     Bild des Wappens in der Rumpelkammer, der früheren Mädchenkammer, wo es auch jetzt
     noch hing. Doch erinnerte ich mich auch, dass beim Anblick des Wappens immer ein
     hintergründiges Lächeln um seine scharf geschnittenen Lippen zuckte: Genugtuung oder
     Selbstironie? Das wusste er wohl selbst nicht genau.

    Bertha liebte Hinnerk. Sie liebte seine düstere Aura, sein
     Schweigen und seinen beißenden Spott gegenüber anderen. Immer jedoch, wenn er Anna
     und sie traf, hellte sich sein Gesicht auf, dann lächelte er höflich und scherzte,
     und er konnte aus dem Stegreif ein Sonett auf den Apfelrest dichten, den Anna gerade
     in den Mund stecken wollte, eine feierliche Ode auf Berthas linken Zopf singen oder
     im Hof auf den Händen laufen, sodass die Hühner bestürzt gackernd davonstoben. Die
     beiden Mädchen lachten laut, Bertha zupfte sich verlegen an der Schleife des linken
     Zopfes, und Anna warf mit gespieltem Gleichmut und verstecktem Lächeln ihren
     Apfelrest in den Flieder und verzichtete dieses Mal darauf, ihn ganz zu verspeisen.
    Nun wollte Hinnerk aber zunächst Anna. Natürlich wusste
     er, dass sie die älteste Tochter von Carl Deelwater war, wäre sie es nicht gewesen,
     hätte er sie wohl nicht gewollt, jedenfalls nicht so. Doch es war nicht ihr Erbe,
     das ihn lockte. Jedenfalls nicht nur. Vielmehr bewunderte er ihren Status, ihre
     ruhige Selbstsicherheit, die ihm so völlig abging. Natürlich sah er auch ihre
     Schönheit, ihren Körper mit den vollen Brüsten und Hüften und ihren biegsamen
     Rücken. Die herzliche Gleichgültigkeit, die Anna ihm entgegenbrachte, reizte ihn,
     doch achtete er stets darauf, beiden Mädchen gleich viel Aufmerksamkeitzu schenken. Aus Berechnung oder Respekt? Aus Zuneigung für
     Bertha oder aus Mitleid mit der jüngeren Tochter, über deren Gefühle er sich im
     Klaren sein musste?

    Meine Großmutter hatte gewusst, dass sie Hinnerks zweite
     Wahl gewesen war. Sie hatte es Rosmarie und mir einmal gesagt, ohne Bitterkeit,
     nicht einmal mit Bedauern, sehr sachlich, als habe es so sein müssen. Wir hörten das
     nicht gern,

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