Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
Vom Netzwerk:
unentwegt ihren Bauch mit Nahrung füllen
     musste. Sie wohnte mit einem anderen Mädchen zusammen, Cornelia. Diese war etwas
     älter als Harriet, ernst und sehr schüchtern. Herrenbesuch kam nicht in Frage. So
     viele Herren waren es ja auch gar nicht.

    Doch dann kam dieser Medizinstudent, Friedrich Quast.
     Tante Inga hatte mir erst vor wenigen Jahren von ihm erzählt, nämlich an jenem
     Abend, als sie mir die Porträt-aufnahmen von Bertha gezeigt hatte. Es hatte wohl an
     Tante Ingas betörender Stimme und ihrem spannungsgeladenen Wesen gelegen, dass ich
     mir Harriets Liebesgeschichte in glühenden Farben ausmalen musste.
    Friedrich Quast war rothaarig und hatte eine weiße Haut,
     die an manchen Stellen bläulich schimmerte. Schweigsam war er und verschlossen. Nur
     seine kräftigen, sommersprossigen Hände waren lebhaft und selbstsicherund wussten genau, wohin sie wollten, und vor allem: was sie zu
     tun hatten, wenn sie dort waren, wo sie sein wollten. Harriet war hingerissen, das
     war etwas ganz anderes als das hastige und, zugegeben rührend, ungeschickte Anfassen
     ihrer früheren Verehrer.
    Sie hatte ihn auf dem Fest einer Freundin das erste Mal
     gesehen, er war der Mitbewohner des Bruders dieser Freundin. Unbeteiligt stand er am
     Rand und schaute auf die Gäste. Harriet fand ihn arrogant und hässlich. Er war groß
     und dünn, hatte eine Nase, die lang und gebogen war wie ein Schnabel. Er lehnte an
     der Wand, als könnte er nicht gut auf seinen Kranichbeinen stehen.
    Als Harriet nach Hause gehen wollte, stand er unten neben
     der Haustür und rauchte. Ohne ein Wort zu sagen, bot er ihr eine Zigarette an, die
     Harriet, weil sie neugierig und geschmeichelt war, annahm. Als er ihr aber Feuer gab
     und mit seiner Hand, die dem Streichholz Windschutz geben musste, ihre Wange
     streifte, wobei er nicht einmal so tat, als sei es aus Versehen gewesen, da bekam
     sie auf der Stelle weiche Knie.
    Sie nahm ihn mit nach Hause, das heißt, als sie ging, ging
     er einfach mit. Und beiden war klar, dass er sie nicht nach Hause begleiten wollte,
     weil er so ein höflicher Mensch war. Es war Freitagabend, die Mitbewohnerin Cornelia
     war wie jedes Wochenende bei ihren Eltern. Friedrich Quast und Harriet blieben zwei
     Nächte und zwei Tage in Harriets Wohnung. So einsilbig und unbeteiligt Friedrich
     war, wenn er angekleidet war, so begeistert und phantasievoll setzte er sich ein,
     wenn er nackt mit Harriet im Bett lag. Seine schönen Hände strichen, pressten,
     ritzten, tupften mit einer Bestimmtheit über ihren Körper, die ihr den Atem raubte.
     Er schien ihren Körper viel besser zu kennen als sie selbst. Friedrichleckte und schnupperte und erkundete alles an ihr mit einem
     Interesse und einer Neugier, die aber gar nichts mit der Entdeckerfreude eines
     kleinen Jungen gemein hatte, sondern vielmehr mit der genussvollen Konzentration
     eines Feinschmeckers.
    Harriet behielt dieses Wochenende immer als das in
     Erinnerung, an dem sie am meisten über sich gelernt hatte. Ihre sexuelle Befreiung
     hatte weniger mit den sechziger Jahren als mit diesen zwei Nächten und zwei Tagen zu
     tun. Wenn sie und Friedrich Quast nicht miteinander schliefen, dann aßen sie ein
     paar Brote und Äpfel, die Harriet immer in der Wohnung hatte. Friedrich rauchte. Sie
     redeten wenig. Obwohl er Mediziner war, sprachen sie auch nicht über Verhütung.
     Harriet dachte nicht einmal daran. Am Sonntagnachmittag stand Friedrich Quast auf,
     steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zog sich an und beugte sich
     hinunter zu Harriet, die ihn erstaunt ansah. Er schaute ihr ins Gesicht, sagte, er
     müsse los, küsste sie kurz, aber warm auf die Lippen und verschwand. Harriet blieb
     liegen und war nicht sehr beunruhigt. Sie hörte, wie er Cornelia im Treppenhaus
     traf. Hörte, wie beide ihre Schritte kurz anhielten, etwas murmelten, dann hörte sie
     Friedrich schnell hinuntergehen und erst nach einer gewissen Zeit Cornelias
     gemessene Schritte hinauf. Oje, dachte Harriet, ojeoje. Und tatsächlich, kurz darauf
     klopfte es auch schon an ihrer Tür. Cornelia war entsetzt, als sie Harriet im Bett
     vorfand, am helllichten Tag, das Haar zerzaust, Wangen rosig, die Augen mit dunklen
     Schatten, aber voller Glanz, der Mund rot, fast wund. Der Geruch von Rauch und Sex
     traf sie wie ein Schlag, und sie öffnete ein paar Mal den Mund, blickte Harriet fast
     hasserfüllt an und schloss die Tür hinter sich. Harriet fühltesich

Weitere Kostenlose Bücher