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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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wissen und griff mir das dünne weiße Kleid, das über dem Stuhl lag. Mein schwarzes war schon wieder ganz durchgeschwitzt. Ich schwang mich aufs Fahrrad und fuhr los.
    Herr Lexow wohnte gleich neben der Schule, und die war nicht weit von der Kirche, und die war nicht weit vom Haus. Nichts lag hier weit auseinander. Ich weiß nicht, ob ich wirklich an seiner Haustür geklingelt hätte, aber er war glücklicherweise im Garten und zupfteUnkraut. Gegossen hatte er schon, denn über den Beeten hing der scharfe Geruch von Wasser auf heißer Erde. Ich stieg ab, er schaute auf.
    - Ah. Sie sind es.
    Er klang verhalten, aber trotzdem erfreut.
    - Ja, schon wieder ich. Bitte verzeihen Sie mir die Störung, aber …
    - Jetzt kommen Sie doch erst mal herein, Iris. Sie stören mich gar nicht.
    Ich schob mein Fahrrad durch die kleine Pforte und lehnte es an die Hauswand. Der Garten war hübsch und gepflegt, große Kosmeen ragten überall heraus, Margeriten, Rosen, Lavendel und Mohn. Er hatte akkurate Beete mit Kartoffeln, Stangenbohnen und Tomaten. Johannisbeerbüsche, rot und schwarz, Stachelbeeren und eine Himbeerhecke konnte ich sehen. Herr Lexow bot mir einen Platz auf einer Bank im Schatten eines Haselstrauches an, ging ins Haus und kam kurz darauf mit einem Tablett und zwei Gläsern wieder heraus. Ich sprang auf, um zu helfen. Er nickte und sagte, in der Küche ständen Saft und Wasser. Ich brachte die klebrige Flasche mit dem selbst eingemachten Fliederbeersaft und eine Flasche Mineralwasser hinaus. Herr Lexow schenkte uns ein und setzte sich neben mich auf die Bank. Ich lobte den Garten und den Saft, und er nickte. Dann schaute er mich an und sagte:
    - Heraus mit der Sprache.
    Ich lachte.
    - Sie waren sicher ein guter Lehrer.
    - Ja. War ich. Vor allem aber war ich es lange. Also?
    - Ich muss noch einmal über Bertha sprechen.
    - Gern. Es gibt nicht viele Leute, mit denen ich über Bertha sprechen kann.
    - Erzählen Sie mir von ihr. Haben Sie ihr geholfen, als mein Großvater weg war? Wie war sie so mit den Kindern?
    Ich wollte natürlich mehr über Inga herausfinden, traute mich aber nicht, allzu direkt zu fragen.
    Es war angenehm warm dort im Schatten auf der Bank. Nach der Aufregung heute Morgen am See fühlte ich mich mit einem Mal schwer und müde, ich schloss die Augen und hörte Herrn Lexows ruhige Stimme zwischen den Bienen.

    Sicher hatte Bertha Hinnerk Lünschen geliebt, aber er behandelte sie nicht so, wie sie es verdient hatte. Sie hätte sich einfach mehr gegen ihn durchsetzen müssen, aber er hätte sie wohl nicht geheiratet, wenn sie das getan hätte. Und sie liebte ihn doch. Ob Hinnerk sie geliebt hatte? Vielleicht. Sicher. Auf seine Art eben. Er liebte sie, weil sie ihn liebte, mag sein, dass er das am meisten an ihr liebte: ihre Liebe zu ihm.
    Und Inga. Was für ein wunderschönes Mädchen! Herr Lexow wäre gern ihr Vater gewesen, aber letztlich wusste er nicht, ob sie von ihm war. Er hätte es wohl sein können, aber er hatte nie mit Bertha darüber gesprochen. Er traute sich nicht und dachte, man könnte darüber sprechen, wenn man alt sei, wenn Hinnerk tot sei, wenn man ein bisschen über den irdischen Dingen stehe, aber das würde man sowieso nie. Und dann war es zu spät. Bertha wollte irgendwann gar nicht mehr mit ihm reden. Sie wollte ihn begrüßen, aber keine Fragen beantworten. Sie sagte: Das ist alles schon so lange her. Und das kränkte Herrn Lexow. Erst später begriff er, dass sie damals Fragen schon nicht mehr beantworten, ihnen aber durchaus noch ganz geschickt ausweichen konnte.
    Inga war während des Krieges zur Welt gekommen, Dezember 1941, da war Hinnerk noch zu Hause. In den Osterferien hatte Herr Lexow sich die Zeit genommen, ein paar Dahlienknollen bei Bertha vorbeizubringen. Die hatte sie im Herbst so bewundert, es waren prächtige Dahlien, kräftige weinrote Stängel und ganz dicke Blüten von einem lavendelfarbenen Ton, der bei Dahlien ganz ungewöhnlich war. Herr Lexow hatte jene Nacht im Garten der Deelwaters nie vergessen, wie er auch Berthas Schwester Anna nicht vergessen konnte. Er brachte Bertha den Korb mit den Knollen gleich in die Küche. Er war von hinten durch die Diele gekommen, so machte man das im Dorf. Nur Fremde klingelten an der Haustür. Bertha pulte Krabben. Sie hatte eine blaue Schürze um und eine Schüssel mit Krabben auf dem Tisch und Zeitungspapier auf dem Schoß, in das sie die Schalen fallen ließ. Herr Lexow schob seinen Spankorb neben die Kellertür.

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