Der Geschmack von Glück (German Edition)
würden. Und obwohl Ellie ihr Leben nur in Ausnahmefällen dagegen eintauschen wollte – selbst wenn es möglich gewesen wäre –, kam es ihr manchmal ungerecht vor, dass sie nie herausfinden durfte, wie es war, Paul Whitmans Tochter zu sein.
Sollte er je nach ihnen gesucht haben, bekam sie nichts davon mit. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass ein Mann wie er sie sicher ganz leicht hätte finden können, wenn er nur gewollt hätte. Er hätte sicher irgendwie den Kontakt herstellen, gelegentlich mit ihr reden oder Geburtstagskarten schicken können, nur um zu zeigen, dass er an ihrem Leben Anteil nahm. Vielleicht lag es an Mom, vielleicht an ihm; vielleicht dachte er ja ab und zu an sie, vielleicht aber auch nicht; vielleicht vermisste er sie gelegentlich, vielleicht hatten die Artikel aber auch Recht, und Mom und sie waren für ihn nicht mehr als eine Fußnote.
Jetzt sah Ellie zu, wie das kleine Mädchen seinem Vater eine Postkarte reichte, auf der die Morgensonne aus dem Meer stieg. Die Mutter hatte derweil die beiden Jungen aus der Tür getrieben und rief dem Rest der Familie scharf zu, sie sollten folgen. Der Vater zuckte hilflos die Achseln, während der Tochter, die sich die Postkarte an die Brust drückte, verräterisch das Kinn zitterte.
»Sie kann die Karte einfach mitnehmen«, hörte Ellie sich sagen, und der Mann fuhr überrascht herum. Seine Tochter strahlte ihn an und hopste dann mit der Postkarte in der Hand davon. Die Erinnerung daran würde vielleicht nur bis zur nächsten Ecke oder bis zum Urlaubsende reichen, doch mit ein bisschen Glück würde sie noch ein Stück länger bleiben.
Als sie weg waren, wandte Ellie sich wieder dem Computer zu.
Ich glaube, ich kann nicht , schrieb sie Graham. Tut mir leid.
Dann wartete sie.
Neun Minuten später antwortete er: Dann mache ich mich eben allein auf die Suche und bringe dir heute Abend eine vorbei.
Bei dem Gedanken, dass er wieder auf ihrer Veranda stehen könnte, musste Ellie lächeln, doch dann biss sie sich auf die Lippe und starrte auf die Tastatur. Heute Abend passt auch nicht so gut , schrieb sie, überlegte einen Augenblick und setzte hinzu: Und ich weiß immer noch nicht, was eine Whoopie Pie ist …
Es dauerte keine Minute, bis es leise pling! machte und sein Name wieder aufschien. Dann finden wir es zusammen heraus.
Ellie zögerte. Keine Kameras?
Eine Minute verging, dann zwei, doch es kam ihr viel länger vor. Schließlich kam seine Antwort: Keine Kameras.
Diesmal wartete sie nicht. Okay , tippte sie, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
Und so ging sie fünf Stunden später den langen Weg zur Bucht hinunter und fragte sich, ob sie gerade dabei war, einen Fehler zu machen. Ihr war klar, dass es immer Wendepunkte gab, Gelegenheiten, es sich anders zu überlegen, umzukehren. Doch als sie am Anglershop und an dem kleinen Lädchen vorbeiging, wo man die Jetskis ausleihen konnte, als sie den Strand hinter sich gelassen hatte und zwischen die Bäume trat, die dessen Ende markierten, hatte Ellie das deutliche Gefühl, dass sie all diese Warnsignale einfach ignorierte und dass es bald zu spät sein würde, um noch umzukehren.
Es gab Unmengen von Gründen, nicht hinzugehen. Sie würde ihn bald langweilen, er würde sich mit anderen Mädchen treffen. In ein paar Wochen würde er sowieso wieder nach Hause fliegen. Er war zu berühmt. Er würde ihr Geheimnis verraten, einfach nur, weil er war, wer er war. Er würde ihr wehtun, auch wenn er es gar nicht wollte.
Doch irgendetwas drängte sie vorwärts, ließ sie die Zweige zur Seite schieben, als sie der Bucht näher kam und der Sand unter ihren Füßen großen Steinen wich. Doch sie bemerkte all das kaum; sie dachte an sein Gesicht, als er gestern Abend auf der Veranda gestanden hatte, an die vielen Worte, die sie beide quer durchs Land geschickt hatten, jede Mail wie ein Gedicht.
Vielleicht war ihre Begegnung jetzt nur ein Nachtrag zu der Unterhaltung, die sie seit Monaten führten. Vielleicht war dies das Postskriptum.
PS: Hallo.
PS: Danke, dass du gekommen bist.
PS: Da bin ich.
Vor ihr lichteten sich die Bäume und öffneten sich zu einer kleinen, geschützten Bucht, in der die Wellen gegen schiefergraue Steine schwappten. Ellie blieb unvermittelt stehen, als sie merkte, dass er schon auf sie wartete, und hielt sich im Schutz der Bäume. Er hatte sich hingekauert und fuhr mit der Hand durch einen Haufen Steine. Einen hielt er hoch, und Ellie sah, dass er wie ein
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