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Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Sommerregen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Pappeln.«
    »Kommt man von dort denn ins Wasser?«
    Er nickt. »Man muss sich nur ein bisschen durchs Gebüsch kämpfen.«
    Zweifelnd schaue ich ihn an. Ich weiß nicht, ob ich Lust dazu habe, mir Arme und Beine im Gebüsch zu zerkratzen, wenn es auch anders geht. »Aber … warum bleiben wir nicht einfach hier?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Hier sind ziemlich viele Leute. Dort ist es schön ruhig.«
    Ruhig? Einige Sekunden lang weiß ich nicht, was ich antworten soll. Warum will er es unbedingt ruhig haben? Mir fällt ein, wie Mattis sich immer gleich nach Hause trollt, wenn die Schule aus ist. Sich nie freiwillig irgendwo dazustellt. Auf keiner Party auftaucht. Ob Mattis ein Problem damit hat, unter Menschen zu sein?
    Bevor ich mich eines Besseren besinnen kann, habe ich die Frage laut ausgesprochen.
    Mattis’ Mundwinkel zucken, es sieht aus, als müsse er sich das Lachen verkneifen. »Quatsch«, sagt er. »Ich kann mich einfach besser entspannen, wenn nicht so viele Leute um mich rum sind. Ich fühle mich nicht so gerne beobachtet, das ist alles.«
    Unwillkürlich schaue ich mich um. Sehe eine Touristenfamilie mit kleinen Kindern, die genug mit sich selbst zu tun hat, und ein älteres Paar, das in seine Bücher vertieft ist. Aber auch drei Mädchen um die vierzehn, die Mattis in stummer Bewunderung anstarren. Zwei Mittelalte, die wirken, als träumten sie bei seinem Anblick selbstvergessen von besseren Zeiten. Und eine Schönheit Anfang zwanzig mit knallroten Lippen, die ihren Blick mit unverhohlenem Begehren über Mattis’ Körper gleiten lässt.
    Da wird mir klar, was Mattis meint: Er steht tatsächlich unter Beobachtung. Von allen Seiten.
    Kein Wunder, denke ich, als ich ihm wieder in die Augen schaue. Mattis sieht einfach viel zu gut aus, als dass man ihn ignorieren könnte, wenn man ein weibliches Wesen und nicht blind ist. Seltsam finde ich nur, dass ihm das nicht schmeichelt. Im Gegenteil, es scheint ihn zu nerven – so sehr, dass er auf eine einsame Wiese unter Pappeln flieht.
    Ich frage mich, ob ich es besser verbergen sollte, dass ich ebenfalls hin und weg von ihm bin, mehr noch: dass ich mich auf den ersten Blick in ihn verliebt habe. Würde ihn auch das nerven? Ob ich versuchen sollte, lässiges Desinteresse vorzutäuschen, um mich damit von den anderen Mädchen und Frauen abzuheben? Aber, verdammt noch mal, wie soll ich das schaffen, wenn in meiner Seele völlig unkontrolliert die Farben toben?!
    In meine Grübeleien hinein sagt Mattis: »Gib mir deinen Rucksack, ich trage ihn, du siehst so fertig aus. Sag mal, kommst du vom Sport?«
    »Nö. Bin den ganzen Weg gerannt«, murmele ich und verfluche meine Strategie, Stressabbau durch Joggen zu betreiben.
    »Gerannt? Mitsamt deinem Rucksack?« Mattis sieht erstaunt aus.
    Ich nicke betreten, und er lacht. »Du bist süß, Sophie. Irgendwie so anders.«
    Süß , klingt es in meinem Kopf nach, Mattis findet mich süß! Zitronengelbe Freude spritzt über meinen goldenen, blauen, rot gesprenkelten Monitor, gefolgt von beigen Schlieren aus nagender Unsicherheit. Süß ist prima. Aber irgendwie so anders ?
    Ich forsche in Mattis’ Gesicht, ob er ahnt, wie nah er der Wahrheit gekommen ist. Ob er fühlt, wie anders ich bin. Doch alles, was ich finde, ist ein tiefer Blick aus dunklen Augen, ein Blick, der für kleine, scharfe, tintenblaue Stromstöße in meinem Bauch sorgt. Und als wir in einträchtigem Schweigen das Ufer entlanglaufen, Mattis meinen Rucksack trägt und ich ihn in Gedanken mit Noah Brunner vergleiche – der während unserer kurzen Beziehung nie und nimmer auf die Idee gekommen wäre, mir freiwillig irgendetwas abzunehmen –, da denke ich, dass nicht nur ich anders bin.
    Sondern auch er.
    Mattis, mit dem das Schweigen sich überhaupt nicht peinlich anfühlt, sondern gut und richtig. Mattis, der nicht gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und der sich damit von sämtlichen Jungs abhebt, die ich kenne. Mattis, der mich – mich! – ganz offensichtlich der Schönen mit dem knallroten Lippenstift vorzieht.
    Ob er, wie ich, ein Geheimnis hat, das seine Andersartigkeit erklärt?
    Schwarze, glitzernde Neugierde breitet sich in mir aus, und mir wird bewusst, dass ich Mattis nicht mehr nur anhimmele. Ich brenne darauf, ihn besser kennenzulernen. Plötzlich bin ich froh, dass wir auf der Wiese unter den Pappeln liegen werden und nicht am Kiesstrand. Bei der Vorstellung, mich fern von allem und jedem an Mattis’ Persönlichkeit herantasten zu

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