Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
stottere ich wieder und rede Müll. Wenigstens habe ich mir die Erwähnung des Heimatmuseums verkniffen. Hatte ich mir nicht vorgenommen, dieses Date nicht zu versauen?
Mattis setzt sich ebenfalls auf, verschränkt die Hände locker vor den Knien. »Schon gut, entspann dich. Mir gefällt’s doch in Walding.«
»Im Ernst?«, frage ich unsicher.
»Absolut. Ich finde es total schön hier.« Mattis lächelt. »Vor allem heute. Mit dir.«
Heute.
Mit mir.
Blaugoldene Wogen bauen sich auf meinem inneren Monitor auf, als ich Mattis in die Augen schaue. Er lächelt immer noch, betrachtet mich dabei unter langen, schwarzen Wimpern. Unsere Blicke schlingen sich umeinander, und plötzlich habe ich das Gefühl, er kann bis tief in meine Seele schauen – bis hin zu meinem Geheimnis – zu den blauen Wellen, der goldenen Gischt, dem roten Funkenregen. Oh Gott, was macht dieser Junge bloß mit mir?!
Was immer es ist: Es ist beängstigend. Zugleich aber fühlt es sich unglaublich gut an. Die tobende Flut auf meinem Monitor mischt sich mit dem sanften Elfenbeinweiß der Hoffnung, und in diesem Moment beschließe ich, dass ich jede einzelne Sekunde meines Zusammenseins mit Mattis auskosten will.
Selbst wenn er gar nicht wirklich mit mir flirtet und ich viel zu viel in seine Worte, seine Blicke hineindeute.
Selbst wenn Mattis jedem Mädchen so tief in die Augen schaut, dass ihre Seele bloßliegt.
Selbst wenn er nur nett sein will und auf nichts anderes aus ist als auf meine Freundschaft.
Und mir damit unweigerlich das Herz brechen wird.
Elf
Mattis und ich verbringen auch den Montag, den Dienstag und den Mittwoch am Weiher. Jeden Abend danke ich dem lieben Gott – oder wer immer da oben sitzt – für das wunderbare Frühsommerwetter, und jeden Morgen springe ich mit ungewohntem Elan in einen neuen, herrlichen Tag.
Was meine Mutter misstrauisch genug macht, dass sie am Donnerstag nach meinem Arm greift, als ich mit gepacktem Rucksack und Vorfreude im Bauch aus dem Haus stürmen will.
»Warte mal, Sophie. Bist du wieder mit diesem Mattis verabredet?«
Unwillig bleibe ich stehen und entwinde mich ihrem Griff. »Ja. Und?«
»Willst du mir nicht ein bisschen was von ihm erzählen, wenn ihr eure gesamte Zeit miteinander verbringt? Ich als Mutter sollte ja schließlich wissen, mit wem meine Tochter, äh, abhängt und chillt.«
Ich verdrehe die Augen. Wenn Mama sich in dem versucht, was sie für Jugendsprache hält, wird es regelmäßig peinlich.
»Also?«, fragt Mama hartnäckig. »Wie ist Mattis denn so?«
»Nett«, sage ich und wünsche mich an den Weiher. Oder in den Wald. Oder irgendwohin, nur nicht mit Mama in diesen Flur. Ich meine, was erwartet sie denn? Soll ich ihr zwischen Tür und Angel eine Charakteranalyse von Mattis liefern, samt einer detaillierten Beschreibung seines familiären Hintergrunds?
»Frau Bending soll Künstlerin sein«, sagt Mama, als ich schweige. Sie lehnt sich an die Wand und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich atme tief durch. Mama scheint fest entschlossen zu sein, mich nicht aus diesem Haus gehen zu lassen, ehe ich ihr nicht alles über Mattis erzählt habe – und über seine künstlerische Mutter, seinen Vater, seine Geschwister und seinen Hund. Falls er einen hat, darüber haben wir noch nicht gesprochen.
»Stimmt«, sage ich kurz.
»Frau Bending malt, sagt Christa«, bohrt meine Mutter weiter. »Offensichtlich verkauft sie ihre Bilder sogar.«
Ich sehe Mamas Blick und weiß, sie hat Frau Bending schon längst in eine ihrer Schubladen einsortiert: Künstlerin – Drogen – vernachlässigter Haushalt – Kinder auf der schiefen Bahn. Augenblicklich bin ich genervt. Ich liebe meine Mutter, aber ihre Engstirnigkeit macht mich rasend.
Also lehne ich mich an die Wand ihr gegenüber, verschränke ebenfalls die Arme und sage: »Ja, Frau Bending verkauft ihre Bilder über eine große Galerie in München. Toll, oder? Die ist echt erfolgreich.«
Meine Mutter reckt das Kinn. »Tja. Wenn man das Dasein als Künstlerin als Erfolg werten will.«
»Warum nicht?«, frage ich angriffslustig. »Was hast du gegen Künstler? Was ist schlechter daran, Bilder zu malen, als Hausfrau zu sein, Mama?« Ich spreche das Wort extra abfällig aus, will sie provozieren.
Und schaffe es.
»Deine Großmutter ist Künstlerin«, sagt Mama kühl. »Das genügt mir, um dieser Lebensform gegenüber misstrauisch zu sein.«
Meine Großmutter ist …?
Ich schnappe überrascht nach Luft, grüne und rote
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