Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Sekunden später steht Frau Bending vor uns und schüttelt mir lächelnd die Hand. Ihre Augen stehen leicht schräg wie die von Mattis, leuchten aber smaragdgrün.
»Sophie, nicht wahr? Ich bin Nathalie. Keine Angst, wir sind gleich weg.« Sie lacht und streicht sich eine kastanienbraune Locke aus der Stirn. »Johannes hat leider recht, was meine Malerei betrifft. Wenn ich nahe daran bin, den perfekten Farbton zu finden, muss alles andere warten.«
Fasziniert betrachte ich sie. Nathalie Bending ist schön, darin gleicht sie ihrem älteren Sohn. Aber während Mattis eine nachdenkliche Lässigkeit ausstrahlt, versprüht seine Mutter die Energie eines Wirbelsturms.
»Ist Papa noch da?«, höre ich Mattis fragen.
Nathalie schüttelt den Kopf. »Der erfüllt heute mal alle Klischees und verbringt den ganzen Vormittag im Baumarkt.«
Wieder lacht sie, zwinkert uns zu, und dann sind Nathalie und Johannes auch schon weg. Sie laufen den Gartenweg hinunter, springen ins Auto und brausen davon. Uff.
In die plötzliche Ruhe hinein sagt Mattis aufatmend: »Okay, jetzt haben wir das Haus für uns. Frühstück?«
Ich bin immer noch ein bisschen überrumpelt. Von seiner quirligen Familie und von seinem Geständnis, dass er mit Nicola Schluss gemacht hat. Eigentlich will ich, bevor ich ans Essen denken kann, erst noch mehr erfahren, will mir ganz sicher sein, dass zwischen Mattis und dieser Nicola alles vorbei ist.
Doch da nimmt Mattis meine Hand und zieht mich ins Haus, und ohne zu überlegen gewähre ich ihm etwas, das ich sonst nur Lena entgegenbringe: Vertrauen.
So weiß und süß wie Sahneeis.
Mattis schlägt vier Eier in die Pfanne, und ich stehe daneben und bin vollkommen zufrieden damit, ihm zuzuschauen.
Ich betrachte seine braunen Hände, die geschickt mit Küchenutensilien, Butter und Pfeffer hantieren. Seine kräftigen Oberarme, deren Muskeln sich anspannen, wenn er die schwere, gusseiserne Pfanne anhebt. Sein konzentriertes Gesicht, dessen Profil kein Bildhauer perfekter meißeln könnte. Seine vollen, sinnlichen Lippen, seine schwarzen Augenbrauen.
Stehe ich, Sophie Kirschner, tatsächlich mit diesem Jungen in der Küche seiner Eltern? Und hat dieser Junge tatsächlich meinetwegen mit seiner Freundin Schluss gemacht?
Mattis wirft mir einen Blick zu und ertappt mich dabei, wie ich ihn anschmachte. Verlegen trete ich neben ihn und zwinge mich, nur noch auf die Eier in der Pfanne zu gucken.
»Riecht lecker«, bemerke ich.
»Sehr«, sagt er leise, und plötzlich spüre ich seine Nase in meinem Haar.
Die Eier zischen, das glibberige Eiweiß wird fest, doch ich nehme es kaum wahr, obwohl ich immer noch auf den Herd starre. Wie könnte ich an Spiegeleier denken, wenn Mattis seine Lippen auf meinen Scheitel drückt?
Wenn er seinen Arm um mich schlingt und mich an sich zieht?
Wenn er mit seiner warmen Hand mein Gesicht anhebt und sein dunkler Blick sich in meinen brennt?
Ich sehe wieder, aber ich sehe absolut selektiv. Ich sehe nur noch ihn . Seine Augen, in denen Verlangen und eine Spur Unsicherheit stehen. Seinen Mund, der meinen Blick hypnotisch anzieht und mich veranlasst, ohne nachzudenken meine Arme zu heben. Sie um Mattis’ Nacken zu schlingen, um ihn zu mir herabzuziehen.
Lippen treffen auf Lippen, meine Augen schließen sich wie von selbst, und der zarte, vorsichtige Kuss wird im Handumdrehen leidenschaftlich und entflammend, wird zu einem Rausch, dem ich mich nicht entziehen kann, nicht entziehen will, nicht entziehen werde. Ein Meer aus Blau brandet in mir auf, als ich Mattis’ Zunge willkommen heiße, und endlich erkenne ich es, instinktiv und ohne jeden Zweifel.
Begehren.
Ich habe Mattis vom ersten Augenblick an begehrt. Ich begehre ihn himmel-, tinten-, mitternachtsblau, begehre ihn mit jeder Faser meines Körpers, begehre ihn so kompromisslos, dass ich über mich selbst erschrecke, weil ich so etwas noch nie empfunden habe.
Mattis spürt die Veränderung, erkennt meine plötzliche Angst, und sofort zieht er sich zurück.
Ebenso rasch ziehe ich ihn wieder an mich. »Nicht loslassen«, flüstere ich, und er lächelt, fragend, vorsichtig, bis ich meine Lippen erneut auf seine drücke.
Wir küssen uns so selbstvergessen, dass alles um uns herum verblasst. Die Küche, das Haus, die Welt verschwinden, bis nichts mehr existiert außer Mattis und mir, außer unseren Körpern, die sich aneinanderpressen, dem Blau, das sich tief und ziehend in meinem Schoß sammelt, und …
… dem Geruch nach
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