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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Mrs. Harris setzte sich und machte es sich bequem. «Danke schön», sagte sie lächelnd, und der Fahrer sagte: «O.K., Madam», und begab sich wieder an sein Steuerrad. Er war innerlich so beglückt wie ein Pfadfinder, der seine tägliche gute Tat getan hat. Und dieses Gefühl hielt eine ganze Weile an.
    In kurzer Zeit sah und erfuhr Mrs. Harris mehr von New York, seinen Einwohnern und seinen fünf Stadtteilen als die meisten New Yorker, die ein ganzes Leben in der Stadt verbracht haben. Da war ein George Brown, der in der Nähe des Fort George im oberen Manhattan unweit des Hudson wohnte, und zum erstenmal genoß Mrs. Harris die wunderbare Aussicht auf diesen prächtigen Fluß an dessen gegenüberliegendem Ufer die glatten Mauern der Jersey-Palisaden aufragten. Und durch einen anderen, der in der Nähe von Spuyton Duyvil wohnte, erfuhr sie etwas von dem merkwürdigen, sich windenden kleinen Fluß, der den Hudson mit dem East River verbindet und so Manhattan zu einer wirklichen Insel macht.
    Ein Besuch bei einem weiteren Brown am genau entgegensetzten Ende von Manhattan, Bowling Green, führte sie zu der Battery, diesem großartigen Platz, der von den Wolkenkratzern des Bankviertels überragt wird und an dessen Ende die beiden mächtigen Wasserarme des East und North River, wie der Hudson dort heißt, sich in die Upper Bay ergießen, auf der so viele Ozeandampfer, Frachter, Schlepper, Fährboote, Jachten und dergleichen fahren, wie es sich Mrs. Harris nie hätte vorstellen können. Nicht einmal am Limehouse Reach und den Wapping Docks zu Hause verkehrten so viele Schiffe.
    Zum erstenmal in ihrem Leben kam sie sich klein und erdrückt vor. London war eine große graue, sich weit ausdehnende Stadt, größer sogar als diese, aber dort fühlte man sich nicht so winzig, so unbedeutend und so verloren. Die Wolkenkratzer hier, die so hoch waren, daß man nur von einem Flugzeug auf sie hinunterblicken konnte, jeder mit einer Rauch- oder Dunstfahne auf dem Dach, verwirrten Auge und Seele. Was für eine Welt war dies? Wer waren die Menschen, die diese Türme erbaut hatten? Durch die Schluchten rasten und ratterten schwere Bierwagen und gigantische zweistöckige Lastwagen mit Anhängern, Taxis hupten, Polizisten pfiffen, die Schiffe ächzten und tuteten, und mitten darin stand Mrs. Harris aus Battersea allein und ein wenig verängstigt.
    In dem Viertel zwischen 135. Street und Lenox Avenue, das als Harlem bekannt ist, waren alle Browns schokoladenfarben, aber trotzdem interessierten sie sich für Mrs. Harris’ Suche. Einige von ihnen waren als Soldaten oder Flieger in England gewesen und hießen Mrs. Harris mit Freuden willkommen, weil sie sie an eine Stadt und eine Zeit erinnerte, da unter den Nazi-Bomben alle Menschen gleich gewesen waren und die Farbe keine Schranke für die Tapferkeit bildete. Einer von ihnen drängte sie aus purem Heimweh, einen rosa Gin mit ihm zu trinken. Aber keiner war der Mann von Pansy Cott.
    Durch mehrere George Browns, die in Brighton wohnten, machte Mrs. Harris Bekanntschaft mit der östlichen Grenze der Vereinigten Staaten oder, richtiger gesagt, New Yorks — der Küste, wo die langen grünen Wellen sich am Strand des riesigen und lärmenden Vergnügungsparks brechen — Coney Island.
    Der Brown, den sie an jenem Tage aufsuchen wollte, war ein Ausrufer an einer Bude, in der Mädchen Tänze vorführten. Er war ein großer Mann in grellbuntem Seidenhemd und Strohhut, mit Augen, die einen durchbohrten, und er stand auf der Plattform vor der Bude neben einer Anzahl recht widerwärtig wirkender und sehr leicht bekleideter Mädchen und pries den Vorübergehenden laut die Attraktionen an, die sie innen erwarteten.
    Mrs. Harris sank das Herz in die Schuhe bei dem Gedanken, daß so ein Kerl der Vater des kleinen Henry sein könnte. Dennoch fühlte sie sich in dem ordinären Betrieb des Vergnügungspark gar nicht so fremd, denn die Schreie der Ausrufer, das Knallen der Schüsse in der Schießhalle, das Gejuchze auf der Achterbahn und das Plärren der Karussellmusik erinnerten sie an White City oder irgendeinen anderen englischen Rummelplatz, nur daß dieser hier zweimal so groß war.
    Zwischen den Vorführungen lauschte der Ausrufer George Brown aufmerksam und anscheinend mit Sympathie ihrer Geschichte, denn als sie geendet hatte, sagte er: «Ich bin es nicht. Aber ich möchte den Lumpen finden und ihm eins in die Fresse hauen. Wenn Sie mich fragen: der hat das Mädchen geheiratet und sich dann aus dem

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