Der gestohlene Traum
Vierzimmerwohnung. Grigorij Fjodorowitsch fuhr sofort in sein Büro, entnahm Jereminas Akte sorgfältig einen Teil der Schriftstücke und ersetzte sie durch neue, auf denen er die Unterschriften der Zeugen gefälscht hatte. Anschließend rief er den Gutachter Batyrjow an und verabredete sich mit ihm zu einer Tatortbesichtigung. Batyrjow verspätete sich, und Smeljakow sah ihm sofort an, dass man auch ihn ins Parteikomitee gerufen hatte.
»Was sollen wir tun, Grigorij?«, fragte Batyrjow niedergeschmettert. »Man hat mich befördert und mir eine Stelle in Kirow angeboten.«
»Mir hat man dasselbe in der Nähe von Moskau angeboten. Hast du zugestimmt?«
»Habe ich denn eine Wahl? Wenn ich ablehne, setzen sie mich an die Luft. Mit Sicherheit erinnern sie sich dann daran, dass meine Eltern umgesiedelte Krimtataren sind.«
»Ich habe auch zugestimmt. Ich habe sechs Kinder, wir bewohnen zwei Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung und treten einander fast tot.«
»Darum geht es doch gar nicht«, sagte der Gutachter deprimiert.
»Sondern?«
»Es geht darum, dass man uns überhaupt nichts anbietet, man befiehlt uns. Wohnung und Beförderung sind nur eine großzügige Zugabe, eine edle Geste. Man befiehlt uns, eine Strafsache zu fälschen, und danach will man uns loswerden. Wir sollen ein Verbrechen begehen.«
»Aber nicht doch, Raschid!«, widersprach Smeljakow nervös. »Das ist doch kein Verbrechen. Wir fügen niemandem Schaden zu. Die Jeremina ist eine Mörderin, das wissen wir, und sie bestreitet es auch gar nicht. Man will nur, dass die Namen der Zeugen, die sich zur Tatzeit in der Wohnung befunden haben, aus der Akte verschwinden. Was ist schon dabei? Wir schaden damit niemandem. Die Studenten waren zwar in Jereminas Wohnung, aber deshalb sind sie doch keine schlechten Kerle, so etwas kann doch jedem von uns einmal passieren. Du weißt doch, an welcher Hochschule sie studieren. Wenn man dort erfährt, dass sie sich mit einer trunksüchtigen Prostituierten eingelassen haben, wird man sie sofort exmatrikulieren, sie werden aus dem Komsomol ausgeschlossen, und vorbei ist es mit der Karriere. Warum soll man diesen Jungs das Leben ruinieren!«
»Vielleicht hast du Recht«, sagte Batyrjow trocken. »Was wird von mir verlangt?«
»Es geht um das Tatortbesichtigungsprotokoll«, erwiderte der Untersuchungsführer schnell. »Es dürfen dort keine Spuren von Personen auftauchen, die sich während der Tat in der Wohnung befunden haben. Nur die Jeremina und das Opfer.«
»Und die kleine Tochter?«
»Die kann bleiben. Jeder weiß, dass sie zu dieser Zeit in der Wohnung war.«
Die gefälschte Strafsache ging zur Staatsanwaltschaft, und Smeljakow und Batyrjow traten erfolgreich ihre neuen Stellen außerhalb von Moskau an. Vor vier Jahren war Grigorij Fjodorowitsch in Pension gegangen. Seine sechs Kinder waren längst erwachsen, sie lebten in Moskau und hatten inzwischen selbst Familien. Drei seiner Söhne gingen Geschäften in der freien Wirtschaft nach. Nach Smeljakows Pensionierung wurde beschlossen, die Vierzimmerwohnung zu verkaufen und ein großes, luxuriöses Haus zu bauen, in dem der vor kurzem verwitwete Vater bequem und behaglich leben konnte. Gleichzeitig schuf man sich so einen Ort, den man selbst mit Familie und mit Freunden besuchen konnte, um im nahen See zu schwimmen, im Winter Ski zu laufen, im Dampfbad zu schwitzen und sich ordentlich zu erholen.
Grigorij Fjodorowitsch hatte gegen diesen Plan nichts einzuwenden, im Gegenteil, er freute sich, weil sich nun dank seiner geschäftstüchtigen Söhne, denen es nicht an Geld mangelte, sein alter Traum von einem Haus mit Kamin und Bibliothek, mit Schaukelstuhl und großen Hunden erfüllte. Nachdem er das Haus nach eigenem Geschmack eingerichtet und sich an den Komfort und die Ruhe gewöhnt hatte, beschloss Smeljakow, sich in der Literatur zu erproben. Auch das war ein alter Traum von ihm. Zuerst schrieb er ein paar Tatsachenberichte, um in Fluss zu kommen, dann wagte er sich an eine Erzählung, in der er den Fall Jeremina beschrieb.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass an der Wand in Jereminas Küche das da hing?«
Nastja reichte Smeljakow das von Kartaschow gemalte Bild mit dem grünen Violinschlüssel. Smeljakow nickte.
»Wo hat man meine Erzählung eigentlich veröffentlicht?«
»Ich fürchte, nirgends, Grigorij Fjodorowitsch.«
»Dann haben Sie das Manuskript also in der Redaktion gelesen?«
»Nein, ich habe Ihr Manuskript nicht gelesen.«
Smeljakow
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