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Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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von zwei Stunden hatte annähernd ein Dutzend Leute ihr Büro betreten. Und bei jedem ihrer Kollegen beklagte Nastja sich über die Ärzte, die sie fast ins Krankenhaus eingewiesen hätten; über Olschanskij, der in der Mordsache Jeremina selbst nicht weiterwusste und seine schlechte Laune an ihr ausließ; über Gordejew, der bis morgen den fertigen Auswertungsbericht von ihr verlangte; über ihre undichten Stiefel, deretwegen sie ständig nasse Füße hatte. Alle nickten, bemitleideten sie, baten sie um eine Tasse Kaffee, schnorrten Zigaretten und ließen sie nicht arbeiten. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, musste Nastja mit einer blitzschnellen Bewegung ihres Oberkörpers die Schublade mit den darin befindlichen Listen zustoßen. Zum Glück rief wenigstens niemand an.
    Als die Tür erneut aufging und Nastja der Schublade auch diesmal einen Stoß versetzen musste, war sie sich sicher, dass sie sich einen blauen Fleck geholt hatte. Es erschien Gordejew.
    »Warum nimmst du das Telefon nicht ab? Tschernyschew versucht ständig, dich zu erreichen.«
    Nastja warf einen verwunderten Blick auf das externe Telefon.
    »Es hat kein einziges Mal geläutet.«
    Sie nahm ab, horchte und hielt den Hörer dann Knüppelchen hin.
    »Nichts. Die Leitung ist tot.«
    Viktor Alexejewitsch ging rasch zur Tür und schloss von innen ab.
    »Hast du einen Schraubendreher?«
    Nastja zuckte hilflos mit den Schultern.
    »Woher sollte ich so etwas haben?«
    »Du Nulpe«, bemerkte Knüppelchen gutmütig. »Dann gib mir wenigstens eine Schere.«
    Er betrachtete kurz die Steckdose und schraubte dann mit Hilfe der Schere geschickt den Apparat auf.
    »Großartig«, sagte er, während er die Beschädigungen an den Drähten betrachtete. »Einfach und geschmackvoll. Sollen wir uns einen kleinen Scherz erlauben?«
    »Wozu? Ich weiß auch so, wer es gewesen ist. Und Sie wissen es auch.«
    »Vielleicht wissen wir es, vielleicht aber auch nicht. Wir könnten uns täuschen. Und überhaupt, du machst ihm das Leben ganz schön leicht. Er hält sich hier für den Klügsten, den Schlauesten, den Erfolgreichsten von allen. Er macht, was er will oder was seine Auftraggeber ihm befehlen, und wir beide lassen den lieben Gott einen guten Mann sein und uns an seinem Gängelband führen wie dumme Kälber. Es wird Zeit, ihn ein wenig an den Nervenenden zu kitzeln, sonst schöpft er noch Verdacht. Er ist ein erfahrener Kripobeamter, er weiß genau, dass nur auf dem Papier alles glatt geht, in der Praxis stellt sich immer etwas quer. Wir sollten ihm Gelegenheit geben, sich ein wenig den Kopf darüber zu zerbrechen, was er falsch gemacht hat.«
    Nastja zuckte mit den Schultern.
    »Ich verstehe trotzdem nicht, was er damit bezwecken wollte. Ich hätte längst merken können, dass das Telefon nicht funktioniert. Es ist purer Zufall, dass ich selbst heute nirgends anrufen musste.«
    »Und was hättest du getan, wenn du den Hörer abgenommen und gemerkt hättest, dass die Leitung tot ist?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hätte ich jemanden gebeten nachzusehen, was los ist.«
    »Und wen hättest du gebeten?«
    »Sie haben zu hundert Prozent recht, Viktor Alexejewitsch. Ich hätte genau ihn gebeten. Erstens ist sein Büro gleich nebenan, und zweitens weiß jeder, dass er sich gut mit technischen Dingen auskennt. Die Leute schleppen ständig Kaffeemühlen, Föhne, Rasierapparate und anderes zu ihm, damit er den Kram repariert. Er besitzt übrigens auch verschiedene Schraubendreher, die sich alle bei ihm ausleihen. Und mein defektes Telefon wäre ihm natürlich auch nicht entgangen.«
    »Eben, eben«, entgegnete Gordejew, »er hätte es sich selbst vorgenommen und dir weisgemacht, dass der Defekt zu kompliziert sei, um ihn so ohne weiteres zu beheben. Es sei ein winziges, schwer erhältliches Ersatzteil nötig, er würde es morgen von zu Hause mitbringen, aber bis dahin müsstest du ohne Telefon auskommen.«
    »Alles klar. Es gibt jemanden, der mich nicht erreichen soll. Dabei handelt es sich natürlich nicht um einen Kollegen, der es unter einer beliebigen Nummer im Haus versuchen könnte, zum Beispiel unter Ihrer, sondern vielleicht um einen Zeugen, der nur diese eine Nummer besitzt. Was glauben Sie, Viktor Alexejewitsch, wen möchte er von mir fern halten? Kartaschow?«
    »Es ist alles möglich. Hast du eine Flasche?«
    »Eine was?«
    Nastja hob verblüfft ihre Augenbrauen.
    »Eine Flasche. Etwas Alkoholisches. Was bist du nur für eine Kripobeamtin, Kamenskaja? Kein

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