Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
Charlotte würden sterben?
Boukreev: Genauso, etwa: »Sandy nahe dran. Wenn du sie findest, dann vielleicht tot. Und du mußt dich beeilen.« Auch Klev wußte – nur Richtung halten, nicht bergauf, nur gehen, nur Südsattel queren, dann wirst du die Leute am Ende finden, nahe der Kangshung-Flanke. Nicht in die Höhe gehen. Ich sagte: »Wie lange?« Etwa eine Viertelstunde. Ich sagte: »Ach, ganz nahe, wenn für die anderen Viertelstunde, für mich fünf oder zehn Minuten.« Ich frage: »Für dich oder für mich?« »Für dich etwa eine Viertelstunde.« Gut, für mich etwa eine Viertelstunde.
Boukreev wollte von Schoening und Lene Gammelgaard Richtungsangaben, damit er die Verirrten suchen konnte. Ohne Orientierungs- ohne Sichtpunkt, auf den man zuhalten konnte, war es, als würde man einem blinden Piloten bei der Landung helfen.
DeWalt: Hast du Neal um Hilfe gebeten?
Boukreev: Neal geht mit Steigeisen ins Zelt. Ich nehme sie ihm ab, weil ich sagte: »Er wird sein Zelt durchlöchern.« So nehme ich ihm die Steigeisen ab. Und er bricht zusammen.
DeWalt: Er ist zu diesem Zeitpunkt im Zelt?
Boukreev: Mit halbem Körper im Zelt, andere Hälfte draußen. Und als ich mit Lene sprach, sagte ich: »Wie ist Neal?« Und sie sagt: »Vielleicht ein Problem mit Neal.« Meist Lene, sie hat mehr gesprochen. Klev, ich weiß nicht, wie seine Situation war, aber Lene redete. Kann sein, daß Klev ein Problem mit seinem Kopf hat. Ich gehe ins Zelt und versuche mit Neal Beidleman zu sprechen, aber er fror so stark, unmöglich – kein Wort von ihm, und ich verstehe. Er fing im Zelt eben mit Sauerstoff an.
Boukreev, der mit Beidleman sprechen wollte, fand ihn halb im Zelt und halb draußen vor, die Steigeisen noch an den Schuhen. Damit die Spitzen nicht das Zeltmaterial aufrissen und ihn dem kalten Sturm aussetzten, der immer wieder mit Hurrikanstärke blies, nahm Boukreev Beidleman die Steigeisen ab und half ihm ins Zelt. Beidleman konnte kaum sprechen.
DeWalt: Und dann?
Boukreev: Ich gehe in mein Zelt. Lene und Klev sind schon in den Schlafsäcken, und ich frage Lene noch einmal, ob ich nicht doch in die Höhe muß. Lene und Klev sagten zu mir: »Du brauchst nicht bergauf gehen. Du brauchst nur das flache Stück queren.« Lene sagte: »Du brauchst nicht in die Höhe.« Pemba kommt herein und sagte: »Lopsang sagt dir, daß du hinauf mußt.« Warum, wohin, muß ich hinauf oder nicht? Und ich bin für Leben verantwortlich. Ich verstehe so – vorher hoffte ich, daß alles okay ist, daß die Leute Führer haben, Sherpas, wahrscheinlich auch noch Sauerstoff, es ist okay, nur keine Sicht. Und jetzt diese Situation, die Leute kommen, vielleicht erfroren. Und alle Nachrichten kommen für mich sehr rasch. Ich rege mich sehr rasch auf. Und ich kriege diese Kraft von Aufregung.
DeWalt: Adrenalin?
Boukreev: Ja, das ist das Wort.
In seinem ersten Gespräch mit Klev Schoening hatte Boukreev erfahren, er brauche nicht den Berg »hinauf«, sondern nur den Südsattel zu »queren«. Da er nun vom normalen Abstiegskurs abgekommen war, wollte Boukreev das Gehörte überprüfen. Während Boukreev mit Lene und Klev sprach, um möglichst genaue Angaben von ihnen zu bekommen, kam Pemba in Boukreevs Zelt und sagte, Lopsang sei mit der Nachricht zurückgekehrt, er hätte vor einigen Stunden Scott Fischer knapp unterhalb des Balkons zurücklassen müssen. Ohne Sauerstoff, im Delirium, an den Symptomen eines Gehirnödems leidend, hatte sich Fischer ohne Lopsangs Hilfe nicht mehr bewegen können. Lopsang hatte trotz heldenhafter Bemühungen Fischer nicht herunterschaffen können. Der Sherpa, der für seinen Freund verzweifelt Hilfe suchte, wollte, daß Boukreev zu Fischer aufsteigen und ihm Sauerstoff und heißen Tee bringen sollte. Boukreev war nun total konfus durch diese einander widersprechenden Informationen, die ihm die Leute in ihrer durch Sauerstoffarmut und Erschöpfung bedingten Benommenheit lieferten. War Fischer bei der Gruppe? Befanden sie sich an derselben Stelle? Welchen Punkt am Südsattel sollte er ansteuern? Hinauf oder hinunter oder queren? Er versuchte sich ein klares Bild zu verschaffen.
DeWalt: Hast Du mit Lopsang gesprochen?
Boukreev: Pemba sagte, Lopsang kam und sprach mit uns, und ich springe aus dem Zelt und frage mich, wo ist Lopsang? Ich weiß nicht. Ich gehe ins Zelt, wo Neal ist. Neal hat Kollaps. Ich helfe ihm ein wenig und dann höre ich vor dem Zelt Stimme von Lopsang: Er sagt: »Anatoli, du mußt
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