Der Gitano. Abenteuererzählungen
wie ich ihn von solcher Stärke und Unwiderstehlichkeit während meiner vielen Fahrten noch niemals erlebt hatte.
Wir waren gezwungen gewesen, außer dem Sturmsegel alle Leinwand einzuziehen, und dennoch hatte der »Jonathan« mehrere Tage lang einen Spielball der empörten Wogen gebildet, der durch keine menschliche Einsicht, Kraft und Geschicklichkeit zu regieren gewesen war. Das Steuer ging verloren, zwei Maste mußten gekapt werden, und jetzt lag das Schiff gestrandet draußen zwischen den verrätherischen Korallenklippen. Der Kutter war während des Sturmes über Bord gerissen worden; die Schaluppe hatte bei unserer Strandung ein unheilbares Leck bekommen, und das Langboot stak auf einem spitzen haarscharfen Riffe, welches sich wie ein malayischer Dolch in seinen Bug gebohrt hatte.
Draußen riß die Brandung Planke um Planke von dem Wrak, welches unrettbar verloren war, und wir hatten zwei Tage lang unter Anstrengung aller Kräfte arbeiten müssen, um von der Fracht und dem Proviante so viel zu bergen, als wir der gefräßigen See zu entreißen vermochten.
Nun war es mit der schweren Arbeit zu Ende, und wir saßen, wie bereits gesagt, zwischen großen Fässern, Kisten und Waarenballen um das Feuer und bemühten uns, Einer den Andern an Düsterheit der Mienen zu übertreffen.
Seitwärts stand Kapitän Hammer und bemühte sich, mit Hilfe der geretteten Instrumente die Länge und Breite, in welcher wir uns befanden, abzunehmen. Wir hatten seit heute früh wieder freien Himmel, und es konnte ihm also nun nicht schwer werden, seine Aufgabe genau zu lösen.
»Nun, seid Ihr fertig, Kapt’n?« frug der Steuermann.
Er nahm dabei ein mächtiges Stück Salzfleisch vom Feuer und durchstach es mit dem Messer, um die Bratschärfe zu prüfen, welche es erlangt hatte.
»Aye, aye, Maat, bin fertig,« lautete die Antwort.
»Nun, wo sind wir?«
»Wir sitzen elf Grad nördlich vom Steinbock und hundertfünfzig westlich von Ferro, und zwar wie es scheint auf einem kleinen Eilande, welches noch keinen Namen hat.«
»Es ist nicht auf der Karte verzeichnet?«
»Nein.«
»Der Teufel hole dieses Eiland mit sammt den Karten!«
»Meinetwegen! Aber jetzt noch nicht, so lange wir uns hier befinden.«
»Wollte, ich säße daheim in Boston bei meiner Alten und hätte einen festen Schemel oder Stuhl unter mir statt dieser unglückseligen Insel, die uns unser wackeres Schiff gekostet hat!«
»Wäre mir auch lieber. Werde aber das Eiland aufzeichnen und ihm einen Namen geben.«
»Wißt Ihr ungefähr, welches die nächste Insel sein wird?«
»Hm, das ist schwer zu sagen, denn hier gibt es mehr Inseln als Pockennarben in Eurem Gesichte, und das ist ziemlich viel gesagt, wie Ihr wohl wissen werdet, Maate. Habt Ihr für jede Narbe gleich den richtigen Namen bei der Hand?«
Der Steuermann war eifrig bemüht, das Kompliment, welches dieser Vergleich für ihn enthielt, mit einem allerdings sehr sauren Lächeln zu erwidern; doch klärte sich sein Gesicht sehr schnell wieder auf.
»Habe noch nicht daran gedacht, meine ehrliche Physiognomie zu benamsen, Kapt’n,« antwortete er. »Aber wenn dieses unglückselige Stück Koralle hier noch keinen Namen hat, so sind wir wahrhaftig gezwungen, ihm einen zu geben. Ich schlage also vor, wir heißen das Eiland Maatepockennarbeninsel.«
Er schien seinen Witz für außerordentlich geistreich zu halten, denn seine Gesichtssäure war vollständig verschwunden, und neben dem riesigen Stücke Kautabaks, welches er im Munde hatte, drängte sich ein Lachen hervor, welches nicht herzlicher und kräftiger gedacht werden konnte.
Die Schiffsdisziplin ist eine außerordentlich strenge und exakte und selbst der »unbefahrenste« Seejunge weiß, daß Alle einstimmen müssen, wenn der Kapitän oder der Maate so gnädig ist zu lachen, nur muß der Eine sich leiser und der Andere lauter betheiligen, je nach dem Range, den er in der Schiffsliste einnimmt. Daher öffneten jetzt alle Mannen vom Hochbootsmann an bis zum Kajütenhelp herab die Lippen, um ihre Lachmuskeln pflichtschuldigst in Bewegung zu setzen. Sogar der Kapitän verzog den Mund, zum Zeichen, daß er sich entschlossen habe ein beistimmendes Lächeln zu versuchen und meinte dann:
»Ich glaube, daß wir uns so ziemlich in der Mitte der Samoa-und der Tongagruppe befinden und gleich weit nach Tutuila und Vavao haben. Was meint Ihr dazu, Sir?«
Diese Frage wurde an mich gerichtet.
Ich war auf dem Schiffe der einzige Passagier gewesen, und der sonst
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