Der Gladiator
und das Rascheln des glänzenden Stoffes seines Polsters. Eine Sklavin brachte Wein. »Gieß mir ein«, sagte Vitellius und griff nach dem gefüllten Becher. Die Sklavin entfernte sich.
»Ave – sei gegrüßt!« hauchte die zarte Stimme einer Frau. Vitellius hatte sie nicht kommen hören. »Ave«, sagte der Gladiator, »komm näher.«
»Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht«, sagte die Stimme, während die Unbekannte neben ihm Platz nahm.
»Aber nein«, antwortete Vitellius, »warum sollte ich?«
»Nun, ich bin kein junges Mädchen mehr …«
»Bin ich vielleicht ein Jüngling? Ich bin Vitellius der Gladiator, und jedermann in Rom weiß, daß ich auf das fünfte Jahrzehnt zugehe.« Die Stimme schwieg. Vitellius tastete vorsichtig nach der Frau, er griff zaghaft nach den kleinen Brüsten, faßte zurückhaltend um ihre schlanke Taille, griff zärtlich in ihr volles Haar und sagte andächtig: »Wie schön du bist!«
Die Frau an seiner Seite gab keinen Laut von sich und ließ geschehen, wofür er bezahlt hatte.
Um das Schweigen zu überbrücken, fragte Vitellius: »Du bist keine Römerin?«
»Nein«, antwortete die Schöne, »meine Eltern waren Juden. Titus brachte mich auf seinem Beutezug nach Rom.«
»Und wie gefällt dir die Hauptstadt des Weltreiches?«
»Sie war nicht neu für mich. Denn unter Claudius habe ich meine Kindheit hier verbracht.«
»Hat man dich damals ausgewiesen?« fragte Vitellius und blickte an der Schönen vorbei. Die hatte die stumpfen Augen des Gladiators seit geraumer Zeit bemerkt. Behutsam langte sie nach einem Öllämpchen, das vor ihnen auf dem Tisch brannte, und schwang es vor seinen Augen hin und her, ohne daß der Mann reagierte. »Ja«, antwortete sie, während eine unsichtbare Schlinge ihren Hals zuschnürte, »ich war dabei beim großen Exodus.«
Seine Hand zitterte, seine Finger tasteten sich an ihrem Hals empor, umschmeichelten ihr Kinn und berührten ihren Mund. Als sie zärtlich über ihre Wangen glitten, zog Vitellius die Hand erschreckt zurück. Warme Tränen rannen über das Gesicht der Unbekannten.
»Wie heißt du?« stammelte der Gladiator und lauschte in das Dunkel. Er mußte lange auf eine Antwort warten. Unruhig wandte er den Kopf nach allen Seiten. Erst hörte er ein Schluchzen; dann sagte die zarte Stimme unter Tränen: »Rebecca.«
»Rebecca!« Vitellius griff in seiner Erregung irgendwo ins Nichts.
»Ja«, sagte die Stimme. »Ich bin es, Vitellius.«
Tausend Herolde in goldenen Brustpanzern und mit roten Federbüschen auf dem Kopf marschierten im Rhythmus der Kesselpauken in das Amphitheater ein. In der Kaiserloge auf der gegenüberliegenden Seite erschien Titus in der Purpurtoga, lorbeerbekränzt, die flache Hand zum Gruß erhoben.
Wie aus einem Mund schallte der Ruf der Fünfzigtausend: »Heil dir, Titus Flavius Sabinus! Heil dir, Cäsar!«
Im selben Augenblick schmetterten Fanfaren vom obersten Rang martialische Signale in das Rund: Die hunderttägigen Spiele im neuen Flavischen Amphitheater waren eröffnet. Als lebender Zaun umstellten die Herolde die Arena. Das schwere Eisentor ächzte, öffnete sich und gab den Weg frei für die Pompa, den Aufmarsch der Gladiatoren und die Vorführung der wilden Tiere.
Jede Abteilung war nur mit einer Abordnung vertreten, weil die fünftausend Gladiatoren allein schon die Arena gefüllt hätten. So grüßten jeweils vier ins Publikum: vier Samniten, vier Thraker, vier Murmillones, vier Retiarier und vier Faustkämpfer. Um einen Vorgeschmack auf die Venationes, die Tierhetzen zu vermitteln, schleppten Sklaven an langen Stangen gefesselte Tiger ins Stadion, Elefanten trotteten, einander mit dem Rüssel am Schwanz fassend, vor die Kaiserloge und gingen mühevoll in die Knie. Ein dressiertes Tier malte unter dem Beifallsklatschen des Publikums mit dem Rüssel ›Ave Cäsar‹ in den Sand. Nilpferde wurden mit Speerspitzen, Haken und Peitschen in die Arena getrieben. Ein Rhinozeros mit einem Eisenring durch den Unterkiefer trottete apathisch hinterher. Wilde Büffel mußten den Weg mit kleinen Schritten zurücklegen, weil ihre Beine mit kurzen Stricken zusammengebunden waren. Bären mit Maulkörben tanzten auf den Hinterbeinen. Der leitende Quästor der Spiele stand grüßend auf einem Streitwagen, den zwei zahme Panther zogen. Und dazwischen halbnackte Neger, blonde Sklavinnen, nur mit einem Lederriemen umgürtet, Zwerge in voller Rüstung, verurteilte Mörder, Brandstifter und Christen, Menschenmaterial für das
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