Der Gladiator
seine Berater offen. Als ich ihr diese Nachricht überbrachte, redete sie von einem jungen Mann, der unschuldig als Verschwörer verurteilt worden sei. Sein Name ist Vitellius. Messalina meinte, wenn wir schon für sie nichts tun könnten, dann sollten wir uns für diesen Vitellius einsetzen. Er soll morgen, wenn der Tag beginnt, hingerichtet werden.«
Das Tullianum, der untere Raum im römischen Staatsgefängnis unterhalb des Kapitols, war ein Ort des Grauens. Dorthin hatte man Vitellius nach dem Urteilsspruch gebracht. Durch ein Loch in der Decke, den einzigen Zugang zu dem finsteren, stickigen Gewölbe, hatten sie ihn nach unten gestoßen. Jetzt wartete er auf seine Hinrichtung. Penetranter Gestank zog durch einen Schacht an der Seitenwand nach oben. Er führte geradewegs in die Cloaca maxima, den großen Abwasserkanal, und diente dazu, sich der mit dem Würgeisen zu Tode gebrachten Delinquenten zu entledigen.
Aber nur Sklaven und Unfreie wurden mit dem Würgeisen hingerichtet oder gekreuzigt. Als römischer Bürger hatte Vitellius wie alle anderen Verurteilten Anspruch auf einen ehrenhaften Tod durch das Schwert – für einen zum Tode Verurteilten ein schwacher Trost.
Vitellius war am Ende seiner Kräfte. Seit dem Prozeß mit dem Fehlurteil hatte er in beinahe regelmäßigen Abständen grünen Magenschleim erbrochen. Mit starren Gliedern erwartete er den Anbruch des Morgens.
Keiner der Verschwörer, die mit ihm hier im Tullianum lagen, fand Schlaf. Jeden Tag, so lautete das Urteil, sollten zwei der Verschwörer auf dem Marsfeld enthauptet werden. Diese Hinrichtungen über viele Tage hinweg hatten exemplarischen Charakter. Der Kaiser wollte, daß die Bestrafung der Verschwörer – zur allgemeinen Abschreckung – möglichst lange im Gedächtnis der Römer haften blieb. Vitellius und Rufus waren als erste vorgesehen.
»Rufus«, flüsterte Vitellius im Dunkeln seinem Ausbilder zu, »ich sterbe vor Angst, bevor der Henker noch sein Schwert erhoben hat.«
»Du bist ein Gladiator, du hast gelernt, dem Tod ins Auge zu blicken, du darfst dich nicht fürchten!«
»Hast du keine Angst vor dem Tod?«
»Nein«, antwortete Rufus, »ich will nicht sagen, daß ich mich darauf freue, aber Angst habe ich nicht. Seit ich so alt war wie du, stand ich unzählige Male vor dem Tod, da gewöhnt man sich daran. Außerdem – was soll ich hier noch. Ich habe gefressen, gesoffen, hatte Weiber, soviel ich ertragen konnte, jetzt ist Schluß, einmal ist es ohnehin aus.«
Vitellius hatte Mühe, den Inhalt seines Magens zu behalten, er preßte die Hand vor den Mund. »Du hast gelebt«, sagte er, »aber mein Leben hatte doch noch gar nicht angefangen …«
»Du dauerst mich«, sagte Rufus, »aber du hättest die Finger von Messalina lassen sollen. Für Narcissus ist jeder Anhänger Messalinas ein Gegner des Kaisers. Er hat nur vergessen, daß auch er einmal das Bett mit der Kaiserin teilte.«
»Aber es war ein Fehlurteil! Du weißt, daß ich nicht an der Verschwörung beteiligt war. Meinen Tod verdanke ich Pugnax …«
»Den Tod verdankst du Messalina. Dein Umgang mit der Kaiserin war Narcissus ein Dorn im Auge. Er war es, der deinen Kampf gegen Pugnax verlangte, er wollte, daß du vor Messalinas Augen getötet werden solltest.«
»O könnte ich noch einmal gegen Pugnax antreten«, fieberte Vitellius, »ich würde ihn besiegen, glaube mir, ich würde ihn töten. Bei meinem ersten Auftritt in der Arena hatte ich Angst, ihn umzubringen, jetzt hätte ich nur noch den Wunsch, ihn zu töten.«
Durch das Loch in der Decke hörte man Schritte. Ein fahler Lichtstrahl fiel nach unten. »Rufus, Vitellius!« rief eine Stimme, das Echo hallte unheimlich von den feuchten Wänden. Von der Decke wurde ein Seil herabgelassen.
»Bei Castor und Pollux«, sagte Rufus, »es ist soweit!«
Die anderen Todeskandidaten im Tullianum erhoben sich mühsam, fielen den beiden in die Arme, weinten und redeten in diesem gnadenlosen Augenblick Unsinniges. Nur Vergilianus fand die richtigen Worte: »Mögen die Götter euch gnädig sein!«
Rufus und Vitellius wurden an dem Seil nach oben gezogen. Ein Centurio legte ihnen Ketten an, ein Tribun las nochmals das Urteil vor, dann traten zwei Liktoren mit ihren Rutenbündeln vor die Delinquenten, vier Sklaven mit Fackeln gesellten sich dazu. In der ersten Morgendämmerung nahm der gespenstisch-feierliche Zug seinen Weg am Forum des Augustus vorbei nach Norden in Richtung Marsfeld. Vitellius wurde schwindlig
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