Der Gladiator
bei dem Gedanken, daß er auf diesem Weg vor einem halben Jahr in die Stadt gekommen war; damals hatte man ihn in einer Sänfte getragen, und Messalina saß ihm gegenüber.
Er spürte, wie seine Beine schwerer und schwerer wurden. Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Die Angst, mit jedem Schritt dem Tod ein Stück entgegenzugehen, lähmte seine Beine. Er konnte keinen Fuß mehr bewegen. Als ihn einer der Centurionen vorwärts schieben wollte, stürzte er auf das Pflaster.
»Auf!« schrie der Tribun, »auf!«, und versuchte ihn wieder auf die Beine zu stellen, »der Henker wartet nicht, das Totenfeuer lodert schon!« Vitellius versuchte aufzustehen, doch kaum stand er auf den Beinen, sackte er wieder zusammen.
Der Tribun befahl, die Begleitmannschaft solle sich teilen, die einen sollten mit Rufus zum Marsfeld weitergehen, er selbst werde sich um Vitellius kümmern. Er schickte einen der Sklaven zu einem nahen Brunnen. Der Sklave brachte Wasser in den hohlen Händen und schüttete es Vitellius ins Gesicht. Langsam kam der Ohnmächtige zu sich. Rufe des Erstaunens waren das erste, was Vitellius bewußt wahrnahm. Als er den Kopf hob und die Augen öffnete, sah er über sich die weißgekleidete Gestalt eines jungen Mädchens. Aus der Erregung der Umstehenden schloß er, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein mußte. »Amata! Amata!« riefen die Männer und »Welch ein Glück für Vitellius!«
Das Mädchen lächelte und reichte Vitellius die Hand. Wie aus einem bösen Traum erwacht, erhob er sich und nahm die Glückwünsche des Tribuns entgegen, der ihm die Ketten löste. »Vesta«, sprach das Mädchen feierlich, »die Göttin des heiligen Feuers schenkt dir durch mich das Leben!« Der Liktor senkte sein Rutenbündel. Fassungslos schüttelte der Tribun den Kopf und wiederholte immer wieder: »Vitellius, der Sohn der Götter!« Da wurde ihm klar, daß eine Vestalin seinen Weg zur Hinrichtungsstätte gekreuzt und ihn nach heiligem Gesetz begnadigt hatte.
»Mit dieser Begnadigung«, sprach die schöne Vestalin, »hast du einen Wunsch frei, er soll dir erfüllt werden.«
Es dauerte eine Weile, bis die Ungeheuerlichkeit des Geschehens sich in Vitellius' Bewußtsein breitmachte. Zu phantastisch klang diese Aufforderung. Noch vor einem Augenblick hätte er dieses Angebot mit einem Aufschrei beantwortet: »Ich will leben!« Jetzt war ihm nicht nur das Leben geschenkt, er hatte sogar einen Wunsch frei.
Während die Morgendämmerung dem Tageslicht wich, sog Vitellius die kühle Morgenluft in sich auf und verspürte ein Gefühl, als beginne sein stockendes Blut von neuem zu pulsieren. Er überlegte angestrengt, was er sich wünschen sollte. Doch so plötzlich mit einer völlig neuen Wirklichkeit konfrontiert, wußte er keine rechte Antwort. Die Qualen der letzten Stunden hatten ihn zu sehr erschöpft. Aber dann stieg der Haß gegen den Mann in ihm auf, dem er diese Qualen zu verdanken hatte. Noch immer wartete die Vesta-Priesterin auf eine Antwort.
Zu einer Entscheidung gedrängt, sagte Vitellius: »Ich möchte noch einmal als Gladiator kämpfen, mein Gegner soll Pugnax sein!«
K APITEL 6
D ie schweren Bronzetore der Kurie öffneten sich erst, als die frühen Strahlen der Sonne das Forum in eine spiegelnde Bühne verwandelten. Der römische Senat, das höchste Gremium des Staates, pflegte nicht vor Sonnenaufgang und nicht nach Sonnenuntergang zu tagen. Von überallher strömten die Senatoren in purpurgesäumten Togen herbei, schritten würdevoll die Freitreppe zu dem schmalen hohen Gebäude empor, wo ein jeder von den Türstehern namentlich begrüßt wurde.
Das Innere der Kurie glänzte in weißem Marmor. Zu beiden Seiten eines ornamentalen Fußbodenmosaiks erhoben sich übereinander drei Reihen marmorner Sitzbänke. Sie boten sechshundert Mitgliedern Platz. An der Stirnseite befand sich das Podium mit den Sitzen der höchsten Magistratsbeamten, den Sesseln der beiden Konsuln und dem Thron des Kaisers. Dahinter, in einer Mauernische, stand die goldene Statue der Siegesgöttin Victoria. Jeder Senator warf ein Körnchen Weihrauch in eine Pfanne mit glühenden Kohlen am Eingang. Duftschwaden zogen durch den Raum.
Konsul Gaius Pompeius eröffnete die Sitzung. »Patres conscripti«, begann er seine Rede, »wir haben euch zusammengerufen, weil der Staat in Gefahr ist. Wieder einmal haben verschwörerische Elemente versucht, die Macht an sich zu reißen; doch dank der Aufmerksamkeit der weisen Ratgeber unseres
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