Der Gladiator
Götter nicht anerkennen und den Kaiser verachten, gleichzeitig aber wollen sie alle Vorteile der Pax Romana genießen. Du steckst mit ihnen unter einer Decke. Das ist Hochverrat!«
Hochverrat! Vitellius blickte hilfesuchend in die Runde, aber er sah nur Ablehnung und Gleichgültigkeit. Die Richter unterhielten sich, einige Zuschauer spielten das Knöchelspiel – es schien, als stünde das Urteil längst fest, als sei das Ganze nichts weiter als eine unangenehme Pflichtübung.
Aber Vitellius gab nicht auf. »Ich gebe zu, ich wollte mich bei den Juden verstecken, bis über meine Flucht Gras gewachsen wäre. Andere Gründe hatte ich nicht.«
»Und wie kam es zu dieser unehrenhaften Verbindung?«
Vitellius stockte. Sollte er Rebeccas Namen preisgeben? Gewiß hätte das zu seiner Entlastung beigetragen, aber er konnte das Mädchen nicht mit hineinziehen.
»Dein Schweigen ist Antwort genug«, tönte die Stimme des Prätors, »aber unsere Geduld ist am Ende. Gewiß willst du uns auch nicht deine Verbindung mit Messalina erklären. Es ist doch wohl höchst ungewöhnlich, daß ein Jüngling aus der Provinz nach Rom kommt und im Bett der Kaiserin landet. Zu erklären ist dies nur damit, daß auch du zu der Verschwörerclique um Rufus, Vergilianus und den anderen gehört hast. Centurio, die Zeugen!«
Vitellius kannte die Zeugen nur zu gut: Der eine war Pugnax, die andere war eine von Messalinas Kammerzofen. »Terlia«, sagte der Prätor zu der Zofe, »du kennst diesen Mann?«
»Ja«, antwortete die Sklavin, »ich sah ihn bei meiner Herrin. Er war von Gladiatoren begleitet. Auch Rufus und die anderen waren im Haus. Später hörte ich, wie er sich mit der Kaiserin im Bett vergnügte.« Im Publikum wurde ein Raunen laut.
»Man hat mich mit Gewalt zu Messalina gebracht!« rief Vitellius. »Ich wurde geschlagen und gepeinigt …«
»Du behauptest also, Messalina habe Männer wie dich einfangen lassen. Das kann doch nur der Phantasie eines Jünglings aus der Provinz entspringen.«
»Es ist die Wahrheit!«
»Die Wahrheit? Deine Verteidigung ist eine einzige Aneinanderreihung von Ungereimtheiten, Lügen und Erfindungen. Für mich steht fest, daß du zu Messalina enge Kontakte gepflegt hast, und ich behaupte, diese Kontakte waren nur deshalb möglich, weil auch du zu den Verschwörern zähltest.«
»Ich bin kein Verschwörer!« Vitellius' Stimme wurde immer verzweifelter. Tränen der Wut standen in seinen Augen. Hilflos preßte er die gefesselten Hände gegen den Leib und rang nach Luft.
»Pugnax«, rief der Prätor, »was hast du in diesem Zusammenhang vorzubringen?«
Pugnax trat vor, verneigte sich und begann mit wohlvorbereiteten Worten zu sprechen: »Messalina hat Vitellius im Ludus magnus eingeführt. Sie erschien mit ihm zu einer Cena libera. Kurz darauf kam er zur Ausbildung in die Kaserne. Wir alle bekamen tagtäglich zu spüren, daß er von Messalina protegiert wurde. Rufus behandelte ihn nachsichtiger als alle anderen, gleichzeitig erhielt er die beste Ausbildung. Obwohl er im Training keinen einzigen Kampf gegen mich gewonnen hatte, durfte er im Circus maximus als Retiarier gegen mich antreten. Ich hatte bis dahin zwanzig Kämpfe gewonnen, natürlich besiegte ich auch Vitellius. Aber als ich zum Todesstoß ansetzte, stand Messalina mit erhobenem Daumen auf der Kaisertribüne und begnadigte ihn. Nicht etwa, weil er so tapfer gekämpft hatte, nein, er gehörte zu jener Verschwörerclique, deren infames Ziel es war, den Kaiser zu beseitigen!«
Im Publikum wurden Rufe laut wie: »Gebt ihm das Schwert!« und: »Er hat den Tod verdient!« – Vitellius hatte entsetzliche Angst. Die teilnahmslosen Fratzen der Richter begannen vor seinen Augen zu kreisen. Er suchte nach einem Halt, aber nicht einmal eine Sitzgelegenheit stand zur Verfugung. Ein kaltes Fieber schüttelte seinen Körper. Die Todesangst, die ihm, dem Gladiator, nicht fremd war, erreichte in diesem Augenblick eine neue Dimension. Im Kampf auf Leben und Tod gab es immer noch eine Chance. Doch hier bedeutete ein Schuldspruch unabdingbar den Tod. Sein Leben war verwirkt. Wäre er doch in der Arena gefallen, hätte ihn doch der Dreizack des Pugnax durchbohrt – alles läge längst hinter ihm. Gedankenfetzen jagten durch sein Gehirn, quälten ihn, ließen ihn zusammenzucken, Gedanken an Rebecca, die er durch eigene Schuld verloren hatte, Schmerzen, die ihm beim Gladiatorentraining in der ›Straße der tanzenden Puppen‹ zugefügt worden waren, seine
Weitere Kostenlose Bücher