Der Gladiator
bereitwillig ihren immer fester werdenden Umarmungen hin.
»Ich weiß«, flüsterte sie, »daß ich deine Mutter sein könnte und daß du viel jüngere und schönere Frauen als mich haben kannst, aber nimm diese meine Bitte einer unerfüllten Frau entgegen und schenke mir ein bißchen Zärtlichkeit. Es wird dir nicht zum Schaden sein!«
Vitellius legte den Zeigefinger der linken Hand auf ihre Lippen, als wollte er sie zum Schweigen bringen. Die feuchte Wärme ihrer Haut sprühte wie ein Funke auf seine Fingerkuppe. »Du bist eine schöne, erregende Frau, du hast es nicht nötig, einen Mann um Liebe zu bitten.«
»Aber ich habe es doch soeben getan«, entgegnete Mariamne, »daran magst du erkennen, wie sehr ich sie brauche.«
Der Sklave Pictor trat ins Atrium: »Junger Herr, es ist Zeit, das Training wartet!«
Mariamne umarmte Vitellius kurz, aber innig. »Lebe wohl, Gladiator, ich will morgen wieder nach dem Rechten sehen. Und wegen des Erpressers solltest du dir keine Gedanken machen. Du wirst dein Geld zurückerhalten. Wir werden ihn zum Schweigen bringen!«
Bevor sie im Garten des Hauses ihre Sänfte bestieg, winkte sie noch einmal: »Lebe wohl, mein schöner Gladiator!«
Zum wiederholten Male wurde Vitellius nach seinem Begehr gefragt, und zum wiederholten Male gab er seinen Wunsch kund: »Wo sind die Listen mit den Namen der Schiffe und Passagiere einzusehen, die Rom damals bei der Judenausweisung verlassen haben?« Aber obwohl es in Ostia eine oberste Hafenbehörde gab, die angeblich jede Schiffsbewegung kontrollierte, wußte keiner der Quästoren Bescheid. Die Überorganisation der römischen Verwaltung war perfekt. Kein Handgriff, für den es nicht einen eigenen Beamten gab mit einem Jahresgehalt von fünfhundert Sesterzen aufwärts. Aber die Ausweisung von zehntausend Menschen aus Rom war offensichtlich ohne verwaltungstechnischen Aufwand abgelaufen – wenngleich das von den Quästoren heftig bestritten wurde.
Schließlich, als er schon nicht mehr daran glaubte, entdeckte Vitellius, der den schriftkundigen Pictor mitgebracht hatte, die gesuchten Dokumente bei dem für die Getreideausfuhr zuständigen Beamten unter der Bezeichnung ›Leergut‹.
»Beim Merkur, ich erinnere mich«, sagte der Quästor, »die Juden wurden mit der kaiserlichen Getreideflotte außer Landes gebracht – bevor die Schiffe leer zurückfuhren … Aber die halbe Flotte ist gesunken. Der Prinzeps muß noch heute fremde Schiffe anwerben.«
»Damals«, begann Vitellius, »wurde jeder einzelne, der eines dieser Getreideschiffe bestieg, auf dieser Liste vermerkt.«
»So ist es«, antwortete der Quästor, »uns ist kein einziger Jude entgangen. Worum geht es?«
»Ich suche nach einem Mädchen namens Rebecca und möchte den Namen des Schiffes erfahren, mit dem sie wegfuhr.«
Der Quästor grinste unverschämt: »So, ein Mädchen. Du solltest dich ganz schnell anderen Dingen zuwenden; denn deine Sache ist sinnlos. Ich habe dir doch gesagt, daß die halbe Flotte gesunken ist. Und das Ziel der übrigen Schiffe kannte kein Mensch – jedenfalls haben wir darüber keine Unterlagen.«
»Mir genügt der Name des Schiffes«, wiederholte Vitellius.
Der Quästor brummte unwillig: »Wärst du nicht Vitellius, der Gladiator, ich würde dich hinauswerfen. Du bringst die gesamte Getreideversorgung Roms durcheinander.«
Er zeigte mit der Rechten zum Fenster hinaus: »Sieh dir diese Flotte von roten Schiffen an. Sie gehören alle dem reichen Pheroras. Der Kaiser muß für jedes einzelne fünfhundert Sesterze pro Tag bezahlen. Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, wie kostbar meine Zeit ist.«
»Ich will deine Zeit gar nicht in Anspruch nehmen«, gab Vitellius zurück. »Sage mir, wo wir die Dokumente finden, wir werden selber nach Rebecca suchen.«
Als er merkte, daß er diesen hartnäckigen Gladiator nicht los wurde, stand der Quästor wortlos auf und führte Vitellius und seinen Sklaven Pictor in einen stickigen Archivraum. »Hier«, sagte er und zeigte auf eine Reihe von Papyrusbündeln; dann verschwand er.
Pictor begann die staubigen, brüchigen Papyri der Reihe nach zu durchforsten, gespannt verfolgt von Vitellius. In der zehnten Liste am Ende des ersten Stapels wurde er fündig: »Hier steht eine Rebecca, Tochter des Gladiators Verritus.«
»Das ist sie!« rief Vitellius. »Wie ist der Name des Schiffes?«
»Eudore«, antwortete Pictor, und Vitellius umarmte seinen Sklaven.
Auf dem Rückweg von Ostia nach Rom preschten
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