Der Gladiator
Blick ein klein wenig länger als auf den anderen Gästen. Sie bemerkte es, den übrigen Gästen blieb es verborgen.
»Es wird ein schwerer Kampf«, meinte Pheroras, »nicht nur, daß die meisten Kämpfe eines Gladiators gegen einen Löwen bis jetzt verloren gingen, sondern weil der Hauptkampf bei der Einweihung eines neuen Amphitheaters in die Annalen der Geschichte eingeht und deshalb auch dein Gegner noch erbitterter kämpfen wird als je zuvor.«
»Eine grandiose Arena«, schwärmte Vitellius, »wir haben das tägliche Training bereits dorthin verlegt. Es bringt mir unschätzbaren Vorteil, weil ich auf dem fremdartigen Sand meine Standfestigkeit üben kann.«
»Was ist Besonderes an dem Sand?« wollte Mariamne wissen.
»Nun, er ist viel grobkörniger als unser heimischer Sand. Der Kaiser ließ ihn aus den Wüsten Ägyptens herbeischaffen und, um ihm eine rotgelbe Farbe zu verleihen, mit Mennige einfärben. Beides hat eine größere Rutschgefahr zur Folge. Es ist schwieriger, das Gleichgewicht zu halten, besonders für einen Bestiarius, der gegen einen schnellen Löwen antritt.«
»Ein fürwahr ungewöhnlicher Kaiser, dieser Nero. Claudius charterte meine Schiffe, damit die Römer etwas zu essen bekamen, jetzt geht es uns schon wieder so gut, daß der Prinzeps Sand übers Meer herbeischaffen läßt, damit sich die Gladiatoren vom Boden farblich besser abheben!« Pheroras bekam wieder einmal einen seiner berühmten Lachanfälle.
Tertulla fragte besorgt: »Du hast noch nie als Bestiarius gekämpft?«
»Nein«, antwortete Vitellius, »nur beim Training im Ludus magnus, öffentlich noch nicht.«
»Und du fürchtest dich nicht? Jeder Kampf kann doch dein letzter sein.«
»Das ist richtig. Aber auch für dich kann jeder Tag der letzte sein. Tagtäglich stürzen in Rom Häuser ein, begraben Hunderte von Menschen unter sich, Schiffe versinken, der Blitz trifft einen einsamen Hirten, unser aller Schicksal ist von den Göttern vorbestimmt. Warum soll ich mich also fürchten.«
»Vor dem Risiko, du gehst das größere Risiko ein.«
»Ich glaube nicht. Wenn ich im Circus auftrete, dann mit dem festen Vorsatz, zu siegen. Ich versuche mein Leben zu erhalten und tue alles dafür. Wenn du ins Theater gehst, dann glaubst du, was soll mir schon passieren, und kümmerst dich auch nicht darum, ob dein Platz sicher ist. In diesem Fall ist dein Risiko sogar größer als das meine. Denk nur an die Katastrophe am Fuciner See.«
»Es hat nie einen Prozeß gegeben«, sagte Pheroras, »obwohl jedermann in Rom wußte, daß Narcissus die Schuld traf. Er hat jahrelang Steuergelder und wertvolle Arbeitskraft verschleudert, um Claudius ein Denkmal zu setzen; aber in Wirklichkeit sollte es sein eigenes Denkmal sein. Die Grundidee, den See trockenzulegen, war gut; aber an ihr haben sich schon andere versucht. Die Planung war falsch, die Ausführung nachlässig, das Ergebnis kennen wir: Im oberen Teil des Kanals rissen die Wassermassen die Tribüne der Ehrengäste und fruchtbares Land mit sich, im unteren Teil staute sich das Wasser und erreichte sein Ziel, den Liris-Fluß, nicht – alles Stümperei. Aber: De mortuis, nil nisi bene – wollen wir nicht schlecht reden über einen Toten!«
»Er soll im Tullianum ganz elend verhungert sein«, sagte Mariamne.
»Narcissus hatte auf das falsche Pferd gesetzt«, antwortete Pheroras, »wer hätte je gedacht, daß Agrippina einmal das Reich regieren würde. Nero ist zwar Kaiser, aber die Fäden der Politik hält Agrippina in der Hand. Der Prinzeps ist zu jung für seine Aufgabe, er hängt noch an der Mutterbrust – jedenfalls hat er mit seiner Mutter ein Verhältnis.«
»Mit der eigenen Mutter?« fragte Vitellius erstaunt.
»Mit der eigenen Mutter«, bestätigte Pheroras. »Seneca und Burrus, seine Erzieher, Berater und Vertrauten, suchen nun händeringend nach einer Frau, die seiner Mutter möglichst ähnlich sieht, um ihn auf eine andere Fährte zu locken. Denn für Octavia, mit der er seit seinem sechzehnten Lebensjahr verheiratet ist, hat er nichts übrig.«
Mariamne lächelte spöttisch: »Bei allen Göttern, ist es denn so schwierig, unter vielen hunderttausend Römerinnen eine wie Agrippina zu finden?«
»Das ist es in der Tat; denn Agrippina entspricht nicht dem modischen Schönheitsideal der Römerin, die sich schon im zarten Mädchenalter die Brüste schnürt, damit sie klein und unentwickelt bleiben. Agrippina hingegen hat mütterliche Körperformen und Brüste wie eine Hure
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