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Der Gladiator

Der Gladiator

Titel: Der Gladiator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Geliebten suchte. Glaubte sie wirklich, er würde neben dem Grab stehen?
    Vitellius wandte sich ab und preßte die Stirn gegen die rauhen Ziegel der Stadtmauer. Er konnte und wollte nicht sehen, wie sich das zierliche Mädchen an der obersten Sprosse der Leiter festklammerte, sein Gesicht den ersten dicken, klatschenden Regentropfen preisgab, bevor es langsam Sprosse um Sprosse abwärtsgleitend in der gähnenden Öffnung verschwand.
    Das peitschende Unwetter trieb die Gaffer innerhalb weniger Augenblicke auseinander. Hastig zog der Henker die Leiter heraus, die vier Centurionen wuchteten die schwere Verschlußplatte über das Gewölbe und entfernten sich. Vitellius schlug mit geballter Faust solange gegen das Mauerwerk, bis das Blut über seine Fingerknochen rann. Während tiefschwarze Wolkenschwaden über die Stadt jagten und grün schimmernde Blitze den dämmrigen Tag für Sekundenbruchteile in gleißendes Licht tauchten, stieg der Gladiator von der Mauer herab und schritt mit weit ausgebreiteten Armen durch die Wasserwände des tosenden Wolkenbruchs auf die Stelle zu, wo Tullia in der Erde verschwunden war. Mit seiner ganzen Stimmkraft schrie Vitellius gegen das Krachen des Donners, gegen das Brüllen der herabstürzenden Wassermassen an: »O Jupiter, der du Blitz und Donner schickst zum Zeichen deines Unwillens. Laß einen Blitzstrahl in mich fahren, damit ich dieser Vestalin im Tode vorauseilen kann. Jupiter! So erhöre mich doch!«
    Vitellius glitt auf dem überschwemmten Boden aus. Schmutzigbrauner Schlamm klebte am ganzen Körper. Er erhob sich, rutschte von neuem, kroch auf allen vieren über den Erdwall, der rings um das Grab aufgeschüttet war. »Jupiter!« schrie er gegen die tobenden Elemente, »Jupiter! Sieh mich! Vernichte mich! Ich bin nicht mehr wert zu leben! Ich will nicht mehr leben. Hörst du, … Jupiter!«
    Sturzbäche von Wasser schossen die Erdwälle hinab und bildeten über der Stelle, die mit der Steinplatte verschlossen worden war, einen Wirbel. Vitellius rutschte den Wall hinab, griff in das kreiselnde Wasser und versuchte verzweifelt den Rand der Verschlußplatte zu fassen. Seine Fingernägel rissen ein, die Kuppen schmerzten – er fand keinen Ansatzpunkt.
    »Tullia!« schrie er mit letzter Verzweiflung in das wirbelnde Wasser, »Tullia, hörst du mich. Ich bin es, Vitellius!«
    Einen Augenblick hielt er inne, weil er glaubte, Tullias Stimme zu hören. Doch dann wurde ihm klar, daß das unmöglich war, und er begann von neuem nach dem Plattenrand zu tasten. Mit Schrecken erkannte er, daß sich bereits drei weitere Strudel gebildet hatten, durch die das Wasser in das unterirdische Gewölbe schoß. Da wurde ihm klar, daß er nichts mehr ausrichten konnte.
    »Tullia«, schluchzte er und wischte sich mit dem Handrücken den Schlamm vom Gesicht, »Tullia, ich habe das alles nicht gewollt!«
    Starr wie eine Statue hockte er auf dem Erdwall, die Arme über den Knien verschränkt, und blickte in das gurgelnde, schmutzige Wasser. Zuerst versiegten die kleineren Strudel, dann endeten auch die drehenden Bewegungen des großen Wirbels. Das Wasser schien stillzustehen. Ein paar große Luftblasen rülpsten gespenstisch an die Oberfläche. Der Regen ließ nach, auf dem braunen Wasser schwammen milchigweiße Luftblasen. Vitellius legte den Kopf auf seine Unterarme, er blickte in den glitschigen Schlamm und weinte wie noch nie in seinem Leben.

K APITEL 8
    Z wischen Silbergeschirr und gläsernen Karaffen lagen Austernschalen, Schneckengehäuse, Hühnerbeine und Kalbsknochen auf den Tischen. Ein griechischer Sänger schritt mit einer Kithara durch die Reihen der Tafelnden und trällerte ein selbstkomponiertes Lied von einem blinden Sänger, der eine Marmorstatue liebte. Pheroras gab nach mehr als zweistündigem Gelage das Zeichen zum Abräumen der Tafel, und mehr als zwanzig Sklaven stürzten in das Triclinium, hoben die schwerbeladenen Tische hoch und trugen sie hinaus. Andere Bedienstete reichten Silberschüsseln mit warmem, parfümiertem Wasser zum Händewaschen. Statt Handtüchern boten kleine Sklavenjungen ihre lockigen Haare dar. Schließlich wurden die Fußsohlen der zu Tische Liegenden mit duftenden Essenzen eingerieben und die Fesseln mit kleinen Kränzen aus Minze und Lavendel umwunden.
    Pheroras prostete Vitellius zu: »Auf deinen nächsten Kampf. Mögen die Götter dir gewogen sein!«
    Vitellius nahm ebenfalls seinen Becher und lächelte dankend in die Runde. Auf Mariamne verweilte sein

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