Der gläserne Drache
absitzen, und die Pferde beugten sich sofort zu dem saftigen Gras. Selbst der kleine Tisu ließ es sich schmecken, denn zwischenzeitlich nahm auch er normales Futter und trank nur noch gelegentlich bei seiner Mutter.
Romando ging auf das Haus zu. Doch ehe er die Hand heben konnte um zu klopfen, öffnete sich die Tür. Im Lichtschein, der aus dem Haus fiel, zeichnete sich die Silhouette einer schlanken Frau ab.
Als sie nun die Laterne hob, die sie in der Hand hielt, und das Licht ihre Gestalt erhellte, schauten sich die Freunde verwundert an.
Die Frau schien jung zu sein, doch ihr langes Haar, das ihr in zwei Zöpfe geflochten über die Schultern hing, war schneeweiß. Auch ihre tiefgründigen, grünen Augen in dem faltenlosen Gesicht deuteten auf hohes Alter und tiefe Weisheit.
Gekleidet war sie in ein langes fließendes Gewand von der Farbe frisch sprießender Blätter im Frühling.
„Wer seid ihr und was wollt ihr hier in meinem Wald? Dieser Wald ist mein Herrschaftsgebiet, und ich gestatte nicht jedem, hier einzudringen.“ Die Stimme der Frau war sanft und melodiös.
Bevor Romando abgestiegen war, hatte er den Zwillingen noch zugeraunt: „Wehe euch, wenn ihr mich verratet!“
Dann war er aus dem Sattel und machte ein paar Schritte auf die Frau zu.
„Wir grüßen Euch, edle Frau!“ sagte er und verneigte sich vor ihr. „Ich bin ein Gelehrter aus der Hauptstadt. Mein Name ist Romando, und das sind meine Schüler und meine Bediensteten.
Vor einiger Zeit stieß ich in einer alten Schrift auf die Legende des Drachen, der hier am Fuß des höchsten Berges verzaubert auf seine Erlösung warten soll.
Wir kamen, um zu versuchen, ob es uns nicht gelingt, ihm seine Freiheit wiederzugeben.
Daher bitten wir Euch um Eure Erlaubnis, durch Euren Wald ziehen zu dürfen, da dies der einzige Weg ist, die Höhle zu erreichen.
Und wir bitten darum, wenn es Euch nicht stört, heute Nacht hier auf der Lichtung unsere Zelte aufschlagen zu dürfen.“
Die Frau schaute Romando mit einem prüfenden Blick an. Dann sagte sie:
„Kommt erst einmal alle ins Haus! Es ist nicht hell genug, dass ich an euren Gesichtern ergründen kann, ob ihr mir die Wahrheit sagt. Dann werden wir weitersehen!“
Nun folgten auch die anderen der Frau in das Haus.
Die geräumige Stube war behaglich eingerichtet. Überall standen Vasen und Kübel mit Blumen und Kräutern, deren süßer Duft den ganzen Raum erfüllte und sich mit dem der vielen überall verteilten Wachslichter mischte.
In einer Ecke des Raums sprudelte klares Quellwasser aus einem Rohr in ein steinernes Becken.
Da es nur vier Stühle am Tisch und einen gemütlichen Lehnsessel am Kamin gab, sagte die Frau zu Malux:
„An der Seite des Hauses steht eine Bank. Sei so gut und bringe sie mit deinem Kameraden herein, damit alle Platz finden.“
Malux und Porgan folgten ihrem Wunsch und trugen die Bank herein. Die Frau hatte sich in ihrem Lehnsessel niedergelassen. Jetzt sagte sie:
„Ich bitte euch, setzt euch so, dass ihr mir zugewandt seid, wenn wir miteinander sprechen. Ich möchte euch genauer betrachten.“
Alle folgten ihrem Wunsch, doch man sah Romando an, dass er sich unter dem forschenden Blick der Frau nicht sonderlich wohl fühlte.
Sie schaute einen nach dem anderen eine Weile schweigend an. Dann sagte sie zu Romando:
„Ihr scheint die Wahrheit zu sagen, obwohl Ihr auch etwas verbergt. Nun gut, wir werden sehen!
Ihr habt wahrscheinlich im Dorf erfahren, dass mein Name Serina ist und mir die Götter die Gabe der Weissagung verliehen haben. Doch noch könnte ich euch nichts darüber sagen, wie eure Zukunft sich gestalten wird. Dafür muss ich mich erst dem Reinigungsritual unterziehen und das Opfer darbringen.
Daher gestatte ich euch, heute Nacht hier zu lagern. Wenn es den Göttern gefällt, kann ich euch morgen sagen, was die Vorsehung für euch bestimmt hat.“
Sie stand auf und ging zu einer Anrichte, auf der ein großer Krug in einem Kreis von Bechern stand. Sie füllte etwas aus dem Krug in acht der Becher und reichte dann jedem der Anwesenden einen davon.
„Wir wollen die Becher leeren, auf dass die Götter mir ihren Spruch gewähren!“ sagte sie und hob ihren Becher zu Mund.
Alle taten es ihr gleich und tranken ihre Becher leer, sogar Romando, obwohl er zögerte. Aber da er gesehen hatte, dass die Frau alle Becher aus dem gleichen Krug gefüllt und auch den ihren geleert hatte, überwand er
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