Der gläserne Schrein (German Edition)
auch die Sägespäne in der Halle liegen? Glaubst du, die Kanoniker sind dumm? Jetzt hat sich das mit tragischem Unfall erledigt!»
Er machte ein schuldbewusstes Gesicht. «Ich hab’s vergessen. Tut mir leid, aber woher sollte ich wissen, dass dieser Dominikaner die Späne findet?»
Der Ältere schnaubte verärgert. «Der Dominikaner – wer ist er eigentlich? Kennst du ihn?»
Der Jüngere nickte eifrig. «Er nennt sich Bruder Christophorus und soll Inquisitor sein. Er war vergangenes Jahr zur Heiltumsweisung hier, als die Witwe Markwardt wegen der gefälschten Reliquien in der Acht saß.»
Verblüfft hob der Ältere den Kopf und rieb sich nachdenklich das Kinn. «Das gefällt mir nicht.» Auffordernd sah er den Jüngeren an. «Finde heraus, warum er hier ist!»
11. KAPITEL
Missgelaunt trat Bardolf am späten Abend auf die Straße und schlug den Heimweg ein. Der Besuch bei seinem Konkurrenten war alles andere als erfreulich verlaufen. Ansem hatte ihm zunächst nicht glauben wollen, dass der Gewölbebalken manipuliert worden war. Erst als der Schöffenmeister, Reimar van Eupen, zusammen mit drei Geistlichen vom Marienstift hinzugekommen war und den Verdacht offiziell bestätigt hatte, schenkte Ansem ihm Glauben. Dennoch war es erneut zu einem Streit gekommen, denn Ansem weigerte sich weiterhin beharrlich, die Arbeiten in der Chorhalle einzustellen, obwohl Bardolf sein Werkzeug wieder in die Halle gebracht hatte. Nicht einmal die Vermittlungsversuche der Kanoniker hatten gefruchtet, wenngleich sie betont hatten, dass es Scheiffart selbst gewesen war, der Bardolf für die Vergoldungen der Schlusssteine ausgesucht hatte. Schließlich waren die Kleriker und van Eupen verschnupft abgezogen. Um die gereizte Stimmung nicht weiter aufzuheizen, hatte sich auch Bardolf nur wenig später verabschiedet.
Seufzend schritt er die dunklen Gassen entlang. Aus den Fenstern der Wohnhäuser drang nur noch vereinzelt Licht, sodass er eigentlich eine Fackel benötigt hätte. Ein kalter Wind pfiff ihm um die Ohren. Er war froh, die warme Gugel zu tragen, die Jolánda ihm bei seinem Fortgehen noch aufgedrängt hatte.
Mit Ansem war derzeit nicht zu reden. Wie Bardolf befürchtet hatte, war die Trauerfeier für den toten Gesellen ausgerechnet auf Samstag gelegt worden. Sie würden das Geburtstagsbankett also wohl oder übel verschieben müssen.
Als er den Kaxhof überquerte, erblickte er in einiger Entfernung eine Gestalt an der Einmündung zur Kockerellstraße, konnte jedoch erst erkennen, um wen es sich handelte, als er näher kam. «Bruder Christophorus.» Er nickte dem Dominikaner freundlich zu. «Ihr seid noch unterwegs?»
Christophorus nickte grüßend. «Ich war bis eben bei Johann Scheiffart. Die Chorhalle bleibt auch morgen gesperrt, bis die Schöffen alles untersucht haben.»
«Das dachte ich mir bereits.» Bardolf blickte Christophorus prüfend an. «Ihr seht besorgt aus.»
Christophorus antwortete nicht sofort, sondern schaute sich erst prüfend um. Dann fragte er leise: «Wem galt dieser Anschlag, Meister Goldschläger?»
Bardolf zuckte mit den Achseln. Diese Frage hatte er sich auch schon mehrfach gestellt. «Die Schöffen werden es herausfinden.»
Christophorus’ Miene drückte nun Skepsis aus, doch er widersprach nicht. «Wer hat außer Euch in der Halle gearbeitet?»
«Derzeit hauptsächlich Maler», antwortete Bardolf. «Ich jedoch nicht, denn einer meiner Zunftbrüder, Meister Hyldeshagen, hat bis heute meine Vertretung übernommen.»
«Ich hörte davon.» Christophorus hielt kurz inne und verschränkte die Arme in den Ärmeln seines Habits. «Zwei ähnliche Unfälle innerhalb so kurzer Zeit … Habt Ihr vielleicht einen Feind, Meister Goldschläger?»
Erschrocken starrte Bardolf ihn an. «Ich einen Feind? Wie kommt Ihr denn darauf?»
***
Marysa erhob sich gähnend von der Bank. «Ich denke, es wird langsam Zeit für mich. Bardolf wird sicher auch bald wieder zurück sein.»
Jolánda nickte und stand ebenfalls auf. Sie nahm Marysas Mantel von einem der Wandhaken und half ihrer Tochter hinein. «Milo sitzt bestimmt bei Tibor in der Küche.» Sie legte Marysa eine Hand auf den Arm. «Willst du nicht lieber heute Nacht hierbleiben? Ich fühle mich gar nicht wohl, wenn ich daran denke, dass da draußen vielleicht ein Mörder herumläuft.»
Marysa nahm die Hand ihrer Mutter und drückte sie. «Mach dir keine Sorgen. Bis zum Büchel ist es doch wirklich nicht weit. Ich gehe ja nicht allein. Außerdem glaube
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