Der gläserne Schrein (German Edition)
ihrem Bett. Sie zog sich die dicke Wolldecke über den Beinen zurecht. Gleichermaßen überrascht wie besorgt blickte sie ihren Mann an.
Bardolf nestelte seine Bruoch auf, um sich entkleiden zu können. Rasch schlüpfte er neben seiner Gemahlin unter die Decke und zog sie an sich. «Liebes, der Mann hatte noch keine Unterkunft für die Nacht. Wenn Milo mir mit seinem vorlauten Mundwerk nicht zuvorgekommen wäre, hätte ich Bruder Christophorus zu uns eingeladen.»
Jolánda kuschelte sich in seinen Arm und legte ihren Kopf an seine Schulter. «Ehrlich gesagt wäre mir das lieber gewesen. Er und Marysa vertragen sich nicht besonders gut, außerdem …» Sie seufzte.
Bardolf streichelte ihre kastanienbraunen Locken und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. «Hör zu, Jolánda. Was immer zwischen den beiden sein mag, sie müssen selbst damit klarkommen. Sie werden einander schon nicht an die Gurgel gehen. Die Gastfreundschaft gebietet es einfach, einem Reisenden, noch dazu einem Freund der Familie, Obdach zu gewähren.»
Jolánda nickte zaghaft. «Du hast ja recht. Aber ich halte es dennoch für bedenklich.» Sie hob den Kopf und blickte Bardolf ins Gesicht.
Er lächelte liebevoll. «Was bereitet dir Sorgen, mein Schatz?»
Nachdenklich verzog Jolánda die Mundwinkel. «Ebendas, was zwischen den beiden ist, Bardolf. Hast du nicht gemerkt, wie sie …» Sie brach ab. «Es ist mir damals schon aufgefallen, als er zum ersten Mal hier auftauchte. Marysa hat sich ihm gegenüber so abweisend verhalten, fast schon feindselig. Dennoch hatte ich den Eindruck …»
«Jolánda, ich weiß.»
Überrascht merkte sie auf. «Du weißt?»
Bardolf lachte leise. «Liebes, ich bin nicht blind.»
«Ich habe mich also nicht getäuscht?»
Einen Augenblick schwieg Bardolf, dann wiederholte er bedächtig: «Was immer zwischen ihnen ist – sie müssen es unter sich ausmachen.»
Jolánda stieß einen empörten Laut aus. «Bardolf, er ist ein Geistlicher! Würdest du es gutheißen, wenn er und sie …?»
«Nein.» Kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln zog er Jolánda wieder an sich. «Sicher würde ich das nicht. Aber ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angebracht, mich einzumischen.»
Jolánda seufzte. «Dennoch hast du es getan.»
«Was?»
Sie ließ ihren Kopf wieder an seiner Schulter ruhen, drehte sich jedoch so, dass sie ihn ansehen konnte. «Dich eingemischt. Indem du zugelassen hast, dass er in Marysas Haus schläft.»
Bardolf schmunzelte. «Nur für diese eine Nacht.»
Er zuckte zusammen, als ihn Jolándas strenger Blick traf. «Glaubst du das wirklich?»
***
Marysa lag stocksteif in ihrem Bett und hatte die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen. Es war kalt in ihrer Kammer, aber das bemerkte sie kaum. Ihre Gedanken kreisten um die maßlose Dummheit, die sie begangen hatte, indem sie Christophorus ihre Gästekammer angeboten hatte. Morgen früh, so nahm sie sich vor, würde sie sich zuerst Milo vorknöpfen und ihm die Leviten lesen. Seiner losen Zunge hatte sie es zu verdanken, dass jetzt, nur wenige Schritte von ihrer Kammer entfernt, ein Mann schlief, den sie nicht nur nicht ausstehen konnte, sondern, schlimmer: dem sie misstraute. Schon vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an hatte sie gespürt, dass Bruder Christophorus nicht das war, was er zu sein vorgab. Ein Mönch, ein Ablasskrämer, ein Inquisitor – das war die äußere Hülle. In Wahrheit war er ein undurchsichtiger Mann, der, das hatte sie selbst mehrfach erlebt, von einer Minute zur anderen sein Gesicht ändern konnte, fast wie eine Schlange, die sich häutete. Sie hatte keine Ahnung, woher er kam und was er im Schilde führte. Ihr gegenüber schien er loyal zu sein, wohl seiner Freundschaft zu ihrem verstorbenen Bruder wegen. Aber wie es zu dieser Freundschaft gekommen war und warum ein Dominikaner, noch dazu einer, der mit Ablassurkunden handelte, so ohne weiteres eine der schlimmsten aller Sünden schweigend hinnahm, begriff sie nicht. Aldo war ein herzlicher und fröhlicher Mensch gewesen, jedoch mit einer unseligen Neigung zu Männern. Nur sie hatte davon gewusst, denn er hatte sich ihr einst anvertraut. Ihr und Bruder Christophorus. Also hatte er dem Dominikaner bedingungslos vertraut. Etwas, dass sie beim besten Willen nicht fertigbrachte, obwohl er ihr in einer schlimmen Zeit beigestanden hatte.
Schwer atmend drehte sich Marysa und starrte auf die tanzenden Schatten, die ihre flackernde Nachtkerze auf Wand und Fensterladen
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