Der gläserne Schrein (German Edition)
zu durchbrechen. «Ich hätte zwar auch mein anderes Habit anziehen können …»
«Es ist schmutzig», widersprach Marysa, blickte ihn jedoch nicht wieder an. «Ich werde es der Wäscherin geben.» Sie griff nach den nassen Kleidungsstücken.
«Ich mache das schon», wehrte er ab.
«Sie müssen aufgehängt werden.»
«Dazu bin ich durchaus in der Lage», sagte Christophorus mit einem Lächeln. Er wusste nicht recht, weshalb, aber Marysas Verlegenheit gefiel ihm ausgesprochen gut.
«Ihr habt hier keinen Platz, die Sachen aufzuhängen, am Feuer unten trocknen sie schneller.» Erneut griff Marysa nach den Kleidern. Da Christophorus gleichzeitig die Hand nach dem Hemd ausstreckte, kamen sie einander in die Quere.
Erschrocken zuckte sie erneut zurück und hob den Kopf. Dabei fiel ihr Blick auf das silberne, hübsch mit Ranken verzierte Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug. Ein wenig überrascht betrachtete sie es. «Ihr tragt es noch.»
«Sicher», antwortete er, nicht weniger überrascht, und umfasste das Kreuz mit der rechten Hand. «Ihr habt es mir …» Geschenkt war nicht der richtige Ausdruck. «… überlassen», beendete er den Satz schließlich nach kurzem Zögern. «Bisher hat es mir Glück gebracht, wie Ihr es wünschtet.»
Marysa schluckte. Ihre Finger zuckten. Zu gerne hätte sie das Kreuz berührt – ihr Kreuz, das sie einst ihrem Bruder Aldo als Glücksbringer auf seine Reise nach Santiago de Compostela mitgegeben hatte. Doch sie war sich überdeutlich bewusst, dass Christophorus fast unbekleidet vor ihr stand. Noch immer hatte sich ihr Herzschlag nicht beruhigt, obwohl sie sich mit aller Macht bemühte, diese merkwürdigen Regungen, die ihren Körper erfasst hatten, zu unterdrücken.
Erleichtert registrierte sie, dass Christophorus das Hemd an sich nahm und über den Kopf zog. Jaromir war in den letzten Monaten ein gutes Stück gewachsen, hatte sich zu einem kräftigen jungen Mann entwickelt, sodass seine Sachen dem Dominikaner tatsächlich passten.
Als sie Christophorus kurz musterte, stellte sie fest, dass die anderen Kleider den Eindruck, den sie von ihm gewonnen hatte, weiter verstärkten: Sein Mönchshabit passte ihm nicht. Natürlich hatte es die rechte Größe, aber es wirkte an seinem Körper seltsam fehl am Platz. Die einfache Arbeitskleidung, die er nun trug, kleidete ihn angemessener.
Entschlossen, ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken, hängte sie sich das nasse Habit über den Arm und wandte sich zum Gehen. «Ihr hättet Euch wirklich irgendwo unterstellen sollen.» An der Tür drehte sie sich noch einmal um und erschrak, da er unmittelbar hinter ihr stand. So musste sie den Kopf heben, um ihm ins Gesicht blicken zu können. «Ihr …» Sie schluckte. «Ihr wart heute Abend bei Euren Mitbrüdern in der St.-Jakob-Straße?»
Christophorus nickte. Er trat nicht zurück, obwohl die plötzliche Nähe zu ihr ihm auf den Magen schlug.
«Wird Bruder Eldrad uns helfen?», fragte sie und ärgerte sich gleichzeitig über das leichte Schwanken in ihrer Stimme. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, so schnell wie möglich aus der Kammer zu flüchten, um möglichst viel Raum zwischen sich und Bruder Christophorus zu bringen. Doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie blieb wie angewurzelt stehen.
«Nein», antwortete Christophorus. Sein Blick heftete sich auf die heftig pochende Ader an Marysas Hals. «Das heißt, es gab keine Gelegenheit, ihn darum zu bitten.»
«Keine Gelegenheit?»
Christophorus wusste in dem Moment, als er die Hand hob, dass es falsch war. Dennoch fuhr er sanft mit der Fingerspitze über die Stelle, an der er Marysas Pulsschlag sehen konnte. Diesmal zuckte sie nicht zurück, sondern erschauerte leicht. Im nächsten Moment erstarrte sie. In ihren Augen flackerte etwas auf, das seinen Verstand kurzfristig betäubte. «Ihr habt Angst vor mir, Marysa», sagte er leise. «Warum?»
Als Marysa seine Fingerspitzen an ihrem Hals spürte, meinte sie, plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Sie wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Zu sehr war sie damit beschäftigt, den Aufruhr ihrer Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
Auf dem Gang vor der Tür wurden Schritte laut. «Herrin, der Würzwein ist fertig», rief Imela. «Herrin? Wo …?»
Marysa atmete heftig aus, wandte sich um und riss die Tür auf. «Ich komme schon», sagte sie und winkte der sichtlich überraschten Imela, ihr zu folgen. An der Treppe drehte sie sich erneut zu
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