Der gläserne Schrein (German Edition)
– ein Mönch! Niemals hätte dies zwischen ihnen geschehen dürfen.
Aber es war geschehen. Marysa wusste nicht, wie sie ihm je wieder gegenübertreten sollte.
***
Kraftlos ließ sich Christophorus auf die Bettkante sinken und stützte den Kopf in seine Hände. Er verfluchte sich ein ums andere Mal, dass er es so weit hatte kommen lassen. Auch wenn Marysa leidenschaftlicher auf seinen Kuss reagiert hatte, als er es je vermutet hätte – er hatte kein Recht gehabt, derart über sie herzufallen. Nicht einmal berühren hätte er sie dürfen! Ganz gleich, wie oft er sich dies sagte; das Verlangen nach ihr, das ihn vorhin erfasst hatte, war noch nicht wieder ganz abgeklungen. Er war fast dankbar, dass er vorhin den Riegel an ihrer Tür gehört hatte, denn er war sich nicht sicher, ob er sonst nicht kehrtgemacht und das vollendet hätte, was sie mit dem ersten Kuss begonnen hatten.
26. KAPITEL
«Nun, wie sieht es aus?», kam eine fragende Stimme aus der Chorhalle. Ihr Besitzer trat durch die provisorische Trennwand in die Pfalzkapelle und blickte ihr Gegenüber auffordernd an.
Der Mann, der sich seiner Bettlerkleider für heute entledigt hatte, trat auf ihn zu. «Bruder Christophorus schnüffelt bei Hyldeshagen herum.»
«Hat er dich gesehen?»
«Ich glaube nicht.»
«Du glaubst nicht?», kam das verärgerte Echo.
Der falsche Bettler zuckte mit den Schultern. «Ich nehme an, er war zu sehr mit dem Gesellen des Goldschmieds beschäftigt.»
«Warum das?»
Wieder zuckte er mit den Schultern. «Weil er anscheinend darauf gekommen ist, dass der Kerl ihm auf Schritt und Tritt folgt.»
«Hyldeshagens Geselle stellt Bruder Christophorus nach?» Die Stimme des Geistlichens, denn ein solcher war der Auftraggeber des falschen Bettlers, nahm einen nachdenklichen Klang an. «Das gefällt mir nicht. Was will er von ihm?»
«Herausfinden, was Bruder Christophorus weiß?», schlug der falsche Bettler vor. «Der treibt sich nämlich ständig in der Stadt herum und war ja auch schon ein paarmal hier.»
«Das weiß ich», knurrte der Geistliche. «Auch wenn er kein Inquisitor mehr ist, könnte er für uns unbequem werden.»
«Er scheint wegen dieser Schreinbauerwitwe so neugierig zu sein. Offenbar hat er sich vorgenommen, ihrer Familie zu helfen, Meister Bardolf aus dem Gefängnis freizubekommen.»
«Bist du sicher, dass das der wahre Grund ist?» Der Geistliche schüttelte zweifelnd den Kopf. «Wir müssen mehr über ihn in Erfahrung bringen. Und wegen der Witwe sollten wir uns auch etwas einfallen lassen. Sie scheint ebenfalls ausgesprochen neugierig zu sein. Und dabei hatte ich gehofft, dass sie mit dem Auftrag für ihre Werkstatt ausreichend abgelenkt wäre.»
27. KAPITEL
Zwei Tage lang schaffte es Marysa, Bruder Christophorus fast vollständig aus dem Weg zu gehen, indem sie bereits am frühen Morgen das Haus verließ, um in die Kockerellstraße zu gehen, und erst nach der Abendmahlzeit zurückkehrte und sich sofort in ihre Kammer zurückzog. Jolánda war froh über die Gesellschaft und Unterstützung, sagte deshalb auch nichts über die nicht allzu gute Laune ihrer Tochter.
Am Morgen des dritten Tages gelang es Marysa jedoch nicht, rechtzeitig fortzukommen, da Balbina sie in der Küche aufhielt, um mit ihr die Einkäufe für die nächsten Tage zu besprechen. Auch ihren Knechten musste sie neue Aufgaben zuteilen und die Fortschritte an den Schreinen und Reliquiaren begutachten.
Als sie schließlich ihr Kontor aufsuchte, um nun, da sie schon mal bei der Arbeit war, ihre Korrespondenz und ihr Rechnungsbuch zu ordnen, erschien Christophorus in der Tür.
«Ihr könnt nicht ewig vor mir davonlaufen», begann er leise.
Marysa hatte sich gerade an ihr Schreibpult gesetzt und hob den Kopf. Es kostete sie große Anstrengung, seinem Blick standzuhalten, doch sie schaffte es. «Ich laufe nicht davon, Bruder Christophorus. Ich habe zu tun.»
Christophorus trat einen Schritt auf sie zu. «Was geschehen ist, ist geschehen, Marysa. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen, also sollten wir einen Weg finden, damit zurechtzukommen.»
«Es ist passiert, ja.» Ihre Augen flackerten, und sie richtete ihren Blick auf einen Punkt neben ihm. «Aber ich wünsche nicht, dass wir jemals wieder ein Wort darüber verlieren.»
Er sah sie einen Moment lang schweigend an, dann nickte er. «Also gut. Dann sagt mir, was Ihr wegen unseres Verdachts bezüglich der Chorhalle zu tun gedenkt.»
***
Nach einigem Überlegen waren Marysa und
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