Der gläserne Schrein (German Edition)
nicht gesagt», antwortete Bruder Jacobus. «Ich halte es nur für eine äußerst abstruse Vermutung. Wenn jemand die Fensterscheiben manipuliert hätte, müsste es ja wohl ein Mitglied des Marienstifts gewesen sein. Wer sonst – außer den Goldschmieden und Malern – hätte sonst Zutritt zur Chorhalle? Die Arbeiter sind tagsüber unter Aufsicht, hätten folglich keine Gelegenheit dazu gehabt. Wollt Ihr wirklich das Stiftskapitel beschuldigen?»
Christophorus und Scheiffart sahen sich einen Moment lang an, dann antwortete Scheiffart: «Wir verdächtigen niemanden, Bruder Jacobus. Dazu müssten wir zunächst einmal Beweise haben. Wo sind die Reste der zerbrochenen Scheiben hingebracht worden?»
Bruder Jacobus verzog bedauernd das Gesicht. «Ich habe sie zur Glashütte zurückgeschickt, wo sie vermutlich schon wieder eingeschmolzen worden sind. Glas ist ein sehr teurer Werkstoff, wie Ihr wohl wisst. Ich konnte die Scheiben ja nicht einfach auf einen Schutthaufen werfen.»
Enttäuscht blickte Marysa sich im kahlen Rohbau der Kapelle um. «Die Scheiben sind wirklich alle fortgebracht worden? Es gibt keine Beweisstücke mehr?»
«Gute Frau», sagte der Augustiner mit einiger Herablassung, «wie hätte ich wissen sollen, dass Ihr die Fensterscheiben als Beweise betrachtet? Ich gehe nach wie vor davon aus, dass entweder der Glashüttenmeister uns schlechte Ware angedreht oder der Glaser, der die Scheiben einbaute, nachlässig gearbeitet hat. Letzterer sitzt deswegen ja auch seit einigen Tagen in Haft, nicht wahr, Herr Scheiffart?»
«Ihr habt den Mann einsperren lassen?» Erschrocken starrte Marysa Scheiffart an.
Der Kanoniker nickte ruhig. «Er wird in unserem Gefängnis verbleiben, bis die Sache aufgeklärt ist. Ich stimme mit Bruder Jacobus überein. Solange es keine Beweise für Eure Theorie gibt, dürfen wir auch die naheliegende Ursache für die zerstörten Scheiben nicht aus den Augen verlieren.» Scheiffart wandte sich zum Gehen, blieb jedoch überrascht am Eingang der Kapelle stehen. «Bruder Eldrad, Bruder Valentin, welche Freude!», rief er und eilte den Dominikanern entgegen, die eben auf die Matthiaskapelle zusteuerten.
Christophorus und Marysa folgten ihm und begrüßten die Dominikaner ebenfalls. Bruder Valentin erkundigte sich sogleich nach dem Reliquienschrein, den sein Konvent bei Marysa in Auftrag gegeben hatte, und sie versicherte ihm, dass die Arbeiten gut vorankämen.
«Das freut mich zu hören», sagte der alte Dominikanerprior. «Bruder Eldrad und ich sind heute hergekommen, um ein wenig die Nähe der noch viel größeren und segenspendenden Reliquien zu genießen, die hier im Dom aufbewahrt werden.» Er lächelte Scheiffart freundlich zu. «Natürlich war mein guter Freund hier neugierig auf die Fortschritte, die der Bau der Chorhalle macht.»
«Davon könnt Ihr Euch selbst überzeugen», antwortete Scheiffart. «Ich bin sicher, Bruder Jacobus wird Euch gerne herumführen.» Er nickte den beiden Dominikanern zu. «Ich muss nun leider zurück zum Stiftshaus. Ihr begleitet mich?», wandte er sich an Marysa und Christophorus.
Marysa folgte ihm; Christophorus blieb noch einen Moment bei Bruder Valentin stehen, der ihn mit einer Frage nach dessen Befinden in ein Gespräch verwickelt hatte.
Am Domportal wandte sich Scheiffart an Marysa. «Ich danke Euch, Frau Marysa, dass Ihr und Bruder Christophorus mich über Eure Überlegungen informiert habt. Ihr könnt sicher sein, dass ich der Sache nachgehen werde, aber so ganz ohne Beweise wird es schwierig werden, Euren Verdacht zu überprüfen.»
«Ihr werdet aber den Glaser hoffentlich nicht zu lange im Gefängnis des Domkapitels eingesperrt lassen, oder?», fragte sie besorgt.
«Nicht, wenn er mit den zerstörten Scheiben tatsächlich nichts zu tun hat.» Scheiffart legte den Kopf auf die Seite. «Macht Euch keine Gedanken, Frau Marysa. Wir werden niemanden leichtfertig verurteilen. Doch bedenkt, wenn Eure Annahme richtig sein sollte, könnte der Glaser ein Handlanger derjenigen sein, die den Bau der Chorhalle behindern wollen.»
Marysa nickte mit einem mulmigen Gefühl im Magen. «Ihr werdet ihn also befragen?»
«Mit allen gebotenen Mitteln», bestätigte Scheiffart und wechselte übergangslos das Thema. «Es ist sehr freundlich von Euch, den Wechsel zu akzeptieren, den Herr van Weyms Euch überbracht hat. Wie ich hörte, wart Ihr noch nicht in Kornelimünster?»
«Nein», antwortete Marysa. «Es hat sich bisher keine Möglichkeit
Weitere Kostenlose Bücher