Der gläserne Wald
Seite zu gehen hat, muss ich in diesem Fall mich ab und zu zwischen sie drängen, um jene, die weiter vorn sind, in Bewegung zu halten. Ich muss dabei ständig auf der Hut sein, um nicht mit einer ihrer Beeren in Berührung zu kommen.
Plötzlich zucken gleißende Lichtbänder durch die Straße. Es zischt und brotzelt wie Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte. Dann ist die ganze Straße von Licht und Lärm erfüllt. Geblendet schließe ich die Augen und sinke im Rinnstein auf die Knie; aber ich bin noch geistesgegenwärtig genug, um mit der Peitsche die nächsten beiden Sammler aus meiner Nähe zu treiben.
Die Front des Hauses links hinter mir stürzt auf die Straße und zerbirst. Weißglänzende Staubkaskaden überschütten uns und hüllen uns ein wie Nebelschwaden. Vor mir torkeln dunkle Schemen zwischen Lichtpfeilen und grell leuchtenden Bändern. Als würden sie von wirbelnden Staubwogen vorangetrieben, schleppen sich, hüpfen, torkeln und taumeln die Sammler gegen die Mauerbresche. Sie benehmen sich wie Mautfliegen, die vom Licht angezogen ins offene Feuer flattern. Die ersten sind schon gestürzt und liegen wie Klumpen auf dem Straßenpflaster. Sie schreien wie Tiere, aber es sind Menschen, und sie schreien wie Menschen. Es ist schrecklich. Einer, den ein weißer Lichtstrahl berührt, springt in die Höhe und wirft sich im Sprung zurück, stürzt auf den Kopf. Seine Beere fliegt durch die Luft; er bleibt reglos liegen.
Verzweifelt presse ich beide Hände auf die Ohren. So habe ich sie nie schreien gehört. Die Berührung der Lichtfinger muss schmerzhafter sein als ein Schlag mit der Dornenpeitsche.
Weiter vorn läuft der Rest meines Sammlertrupps auf die Blitze der Adaporianer zu; es sind höchstens noch zwanzig. Die andern liegen reglos oder zuckend am Boden, greifen mit bleichen, weiß angestrahlten Händen nach den farbigen Lichtern am Himmel.
Ein ekelhafter Gestank von verbranntem Fleisch mischt sich in den Geruch von Kalkstaub und brennendem Holz. Schon vier Häuser sind zusammengestürzt, und überall beginnt es zu brennen. Aufgescheuchte Beutelratten jagen in panischer Angst aus den Kellern und der Dunkelheit ihrer Höhlen. Blind prallen sie im Licht gegen Wände und Trümmer und zucken zurück wie schwarze Funken.
Ich finde mich in der dunklen Nische einer Haustür wieder und habe keine Ahnung, wie ich aus dem Rinnstein hierher gelangt bin. Ob es Sinn hat, mich hier zu verbergen, weiß ich nicht. Angestrengt blicke ich die Straße hinunter, kann aber vor Staub und Rauch nichts erkennen als die ziellos hin und her schweifenden Lichtbahnen der adaporianischen Waffen.
Die Schreie meiner Sammler haben aufgehört. Manchmal glaube ich, durch das Prasseln der Flammen und das Poltern einstürzender Mauern ein schwaches Stöhnen oder Seufzen zu hören. Ich möchte weinen vor Scham und Mitleid, wenn ich denke, wie sinnlos das alles war. Die armen, dummen Sammler! Wie konnten wir erwarten, dass die Adaporianer bei Nacht anders auf die Annäherung von 200 Menschen reagieren würden!
Vom Stadttor her höre ich lautes Rufen. Das müssen sie sein. Sie kommen! Dann ein Schrei, der mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt, denn ich kenne diesen Schrei genau. Es ist der gleiche, den Elko ausstieß, als er die Beere anfasste. Jetzt, da ich ihn wieder höre, erinnere ich mich genau. Ich krieche noch tiefer in den Schatten des Eingangs. Ein zweiter, ein dritter Schrei … aufgeregte Rufe und kaum verständliche Wortfetzen. Und wieder, immer wieder schreien Menschen, schreien fürchterlich, verzweifelt. In meiner Angst möchte ich mich in den dunkelsten Winkel verkriechen und nichts wissen von all dem, was ich angerichtet habe.
Das Wüten der Adaporianer wird immer maßloser, nachdem sie erkannt haben, in welche Falle sie gelaufen sind. Anscheinend wollen sie jetzt die ganze Stadt verbrennen, aber trotz ihrer Bemühungen scheinen sie noch genügend Beeren übersehen zu haben. – Eigentlich sollte ich zufrieden sein, dass unsere Kriegslist so erfolgreich war. Aber es ist zu entsetzlich mitzuerleben, wie ein kluger und einleuchtender Gedanke zu solch grausamer Wirklichkeit wird. So hatte ich es mir nicht vorgestellt.
Vor mir schleichen in geduckter Haltung die ersten fremden Soldaten vorbei. Sie bewegen sich sehr langsam und sichern nach allen Seiten. Ich habe keine Angst, dass sie mich sehen könnten, obwohl ich weiß, dass sie mich sofort zu Staub verbrennen würden. Wenn sie wüssten, was ich ihren
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