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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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vielen hundert Kilometern war Mo Pias die einzige hohe Bodenformation. Vom Plateau aus reichte der Blick nach Süden bis zur Küste hin, und wer sich auskannte, konnte in der Ferne am Horizont die Turmspitzen und Wälle der Festung Zaina erkennen. Im Norden erhob sich bis fast zur halben Höhe des Plateaus der gläserne Beerenwald von Ptolamära, der von hier oben aus gesehen fremd und abweisend wirkte, wie ein Gebilde aus einer anderen Welt.
    Mo Pias war der Ort, den Fürst Ämar von Zaina gewählt hatte, um den Untergang seiner Hauptstadt zu beobachten. Schon am frühen Vormittag hatte die Sonne den dunklen Granit stark erhitzt, und als gegen Mittag die Hohe Gemahlin mit ihrem Gefolge und den Gesandten der Nachbarmonarchien eintraf, ließ der Kaptin der Leibwache in aller Eile Sonnensegel aufspannen, die in gleicher Weise vor der Sonne und dem Wind schützen sollten. Der Wind blies jedoch in dieser Höhe derart heftig, dass die Stäbe, an denen die Segel befestigt waren, von je drei Fragonreitern gehalten werden mussten. Dabei knatterten die Segel so laut, dass man in ihrer Nähe kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.
    Ämar empfing seine Gemahlin Fren auf einem niedrigen dreibeinigen Feldstuhl sitzend – ein Umstand, der die Ankömmlinge zwang, die Rücken noch tiefer als sonst zu beugen, während der Kaptin mit unbewegter Miene neben dem Fürsten stand und keinen Zweifel aufkommen ließ, dass er an den Kerben in seiner Lanze genau überprüfe, ob die im Protokoll vorgeschriebene Tiefe der Verbeugung auch eingehalten wurde.
    Fren war durch die unbequem verbrachte Nacht und den ihr tief verhassten Flug auf einem Fragon aufs äußerste gereizt und konnte bei der Begrüßung nur mühsam die Beherrschung wahren. Für die Unbequemlichkeiten dieser Nacht im Zelt hatte sie auch nicht die Nähe ihres zurzeit favorisierten Leutnants entschädigen können. Und nun dieser zugige, heiße Stein, die Sonnenstrahlung, die ihr den Teint verdarb, dieser ekelhafte Wind, der ihre Haut austrocknete und ihre Frisur zerstörte. – Sofort nach dem Begrüßungszeremoniell zog sie sich aus der Nähe des Fürsten zurück und nahm in ihrer Sänfte Platz, die man von den Fragons herübergebracht hatte.
    Auf einen Wink des Fürsten trugen Gardesoldaten auch für die Gesandten Hocker herbei, doch bevor sie sich noch recht gesetzt hatten, begann der Fürst zu sprechen und zwang sie dadurch, sich auf den glühenden Fels zu knien.
    »Ich fürchte, ihr Gesandten meiner Brüder in den Nachbarländern, dass ihr euch für diesen Ausflug zu dürftig ausgerüstet habt. Am Tag wird euch die Sonne verbrennen, und in der Nacht werdet ihr frieren. Denn ihr wisst doch hoffentlich, zu welchem Zweck wir uns hier oben versammelt haben, und – nachdem ihr nun einmal hier seid, kann ich euch ja die Wahrheit sagen – keiner von euch wird lebend diesen Felsen verlassen, bevor das eingetreten ist, was ich erwarte …«
    Einer der Gesandten erhob sich mit einem zornigen Ruck; ehe jedoch die anderen seinem Beispiel folgen konnten, stand der Kaptin vor ihm und drückte ihm das blanke Eisen seiner Speerspitze gegen den Unterleib.
    »Ich bitte Euch, Emi tha Kien!« mahnte der Kaptin gelassen. »Ihr wisst doch, was sich in Gegenwart des Fürsten geziemt. Was würde Euer Herr zu einem solchen Benehmen sagen?«
    Bei seinem letzten Wort gab er der Lanze einen winzigen Ruck, so dass die scharfe Spitze durch die Kleider des Gesandten drang und seine Haut ritzte.
    Mit einem schrillen Aufschrei ließ sich Emi tha Kien auf die Knie fallen und stöhnte:
    »Ich bin verletzt! – Zu Hilfe, ich bin verletzt!«
    Doch als keiner ihm beizustehen wagte, und er merkte, dass die anderen nur eingeschüchtert zu ihm herüberschielten, besann er sich auf seine Würde und darauf, dass er eines der mächtigsten Fürstentümer Ne Pars repräsentierte. Mit schriller Stimme fing er an zu protestieren und drohte mit der Vergeltung seines Fürsten; doch Ämar hob begütigend die Hände und sagte ironisch lächelnd: »Wir befinden uns im Krieg. Wer mein Feind ist, das wird sich bald entscheiden. Wenn die Adaporianer nicht angreifen, werden meine lieben Brüder über die Monarchie Zaina herfallen; greifen die Adaporianer aber an, wird es jeder meiner Brüder verstehen, wenn ich einen Gesandten maßregeln ließ, der nicht wusste, was sich gehört. -Ich rate also dazu, die Form zu wahren!
    Im Übrigen – das sei nur gesagt, um Missverständnisse vorzubeugen – wird von jetzt an jedes Fragon,

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