Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
begrüßte Amber den Neuankömmling. »Und Gratulation zu deiner Ernennung. Sekretär für Historische Bauten des National Trust klingt sehr eindrucksvoll.«
»Also, es ist noch nicht offiziell«, erklärte er ihr mit einem feinen Lächeln. »Und in Wirklichkeit ist es alles andere als eindrucksvoll.« Er wirkte jedoch hocherfreut.
»Hier ist die Seide«, sagte sie. »Was hältst du davon?«
Er prüfte sie so gründlich, dass Amber sich schon Sorgen machte, doch dann sah er sie mit strahlenden Augen an.
»Ich finde sie perfekt. Hättest du etwas dagegen, wenn ich rüber nach Osterby fahre und einige Fotos von dem Raum mache, bevor und nachdem er mit dem Stoff dekoriert wurde? Ich würde gerne eine inoffizielle Bestandsaufnahme des Interieurs von Herrenhäusern und Landsitzen machen. Cecil beschwert sich immer, meine Fotos wären schrecklich, aber insgeheim ist er, glaube ich, ziemlich froh darüber, keinen Konkurrenten zu haben.«
Amber lachte. »Selbstverständlich kannst du hinüberfahren.«
»Ich habe letzten Monat in Charlton einen Stoff von dir gesehen. Die gelbe Seide, die du im Marmorzimmer verwendet hast.«
»Ja, davon haben wir etliche Meter verkauft, seit sie in der Vogue war«, informierte Maurice Westley sie zufrieden.
»Einer meiner Lieblingsstoffe«, sagte Amber. »Ich habe einen Entwurf meines Vaters verwendet, den mit den römischen Münzen, und ihn an der Stoffkante als Zierrand eingearbeitet. Es passt gut, finde ich.«
»Ja. Ich habe läuten hören, dein Mantel-und-Toga-Stil wird bald so berühmt und gefragt sein wie Syrie Maughams weiße Räume.«
Amber lachte. »Das bezweifle ich, Jim.«
Sie hatte den rechteckigen Raum in Osterby, in dem mehrere Marmorbüsten standen, die ein Vorfahre von Robert aus Italien mitgebracht hatte, in einem warmen Gelb neu streichen lassen. Die hohen Fenster hatten Vorhänge aus gelber Seide bekommen, die am Rand mit einem Goldmünzenmuster verziert waren und sich über schlichte purpurfarbene Seidenrollos ergossen, in einem, wie sie scherzhaft sagte, imperialen Mantel-und-Toga-Stil. Das Ganze erzielte eine äußerst elegante und eindrucksvolle Wirkung, denn es war prächtig, ohne von den Büsten selbst abzulenken.
»Hast du Zeit, nach Denham Place zurückzukommen und mit uns zu Mittag zu essen?«, fragte Amber Jim, als sie das Büro des Werksdirektors verlassen hatten.
»Ich würde sehr gerne, aber ich kann nicht. Ich werde bei Dolly Hetherington erwartet, wo es das ganze Jahr eisig kalt ist und wo ich gekochten Kohl und Hammelfleisch essen muss.«
»Oh, du Armer.«
»Ein Opfer, das ich bringen muss, da Dolly mit der Idee spielt, das Haus mit all seinen Gemälden dem National Trust zu vermachen.«
»Ich hatte gehofft, ich könnte mich mit dir beraten, ob es machbar ist, in London einen Laden für unsere Denby-Seide zu eröffnen.«
»Also, ich kann dir gleich sagen, dass ich das für eine ausgezeichnete Idee halte. Du hättest sicher keine Mühe, Kunden anzuziehen.«
»Das musst du vielleicht in Gegenwart von Robert noch einmal wiederholen«, warnte Amber ihn.
Zu ihrer Erleichterung lachte er und sagte fröhlich: »Sehr gerne.«
»Diese Idee mit dem Laden liegt dir wirklich am Herzen, nicht wahr?«, bemerkte Jay, als er sie zurück nach Denham Place fuhr.
»Ja. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr begeistere ich mich dafür. Luc kommt bald ins Internat, und da …« Da ich keine weiteren Kinder bekommen werde, hätte sie beinahe gesagt, doch sie riss sich zusammen und sagte stattdessen: »Und da ich dann viel Zeit haben werde, kommt es mir nur folgerichtig vor.«
Amber wollte es nicht sagen – nach allem, was Robert für sie getan hatte, wäre es ihm gegenüber nicht loyal -, doch sie empfand immer stärker das Bedürfnis nach etwas, das die Leere in ihrem Leben füllen würde, wenn Luc aufs Internat ging. Bei der unaufhörlichen Abfolge von – in ihren Augen – belanglosen gesellschaftlichen Ereignissen, zu denen die Oberschicht sich zusammenfand, fühlte sie sich isoliert und einsam, denn es gab nur wenige Menschen, mit denen sie auf einer Wellenlänge war. Da waren natürlich Cecil und seine Bohemefreunde, doch Cecil war beruflich oft unterwegs. Zudem war das Bedürfnis, ihrem eigenen künstlerischen Drang nachzugehen, statt ihn zu unterdrücken, in Cecils Gegenwart noch stärker.
Amber musste sich eingestehen, dass die wachsende Entfremdung in ihrer Ehe ihr Angst machte, dass sie eines Tages an dem Punkt ankommen könnte, an
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