Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Trauer zu tragen«, erklärte Amber. »Außerdem muss man auch an den Ruß und den Dreck in der Eisenbahn denken.«
»Das mag für andere gelten, Amber, aber eine Frau in deiner Stellung sollte mehr darauf bedacht sein, wie ihre Erscheinung sich auf den Stand ihres Gatten auswirken könnte. Wie geht es dem lieben Robert?«
»Sehr gut, Großmutter. Er und Luc lassen herzliche Grüße ausrichten.« Bei dem Gedanken an ihren Sohn spielte um Ambers Lippen ein kurzes, zärtliches Lächlen. »Jay hat mir auf der Herfahrt von Gregs kleinem Mädchen erzählt. Das arme Ding.«
»Du warst schon immer viel zu sentimental, Amber. Dabei ist es in Wahrheit so, dass sie besser zusammen mit ihrer elenden Mutter gestorben wäre.«
»Was für eine schreckliche Bemerkung.«
Blanche warf ihr einen Blick zorniger Verachtung zu. »Dann würde es dir also nichts ausmachen, wenn Luc ein Mädchen ihrer Herkunft heiraten wollte? Sei doch vernünftig, Amber. Das Mädchen ist weder Fisch noch Fleisch, für sie ist hier einfach kein Platz.«
»Genau wie es keinen Platz für Caroline Fitton Legh und ihr Kind gegeben hat?« Es war zu spät, die Worte zurückzunehmen, und in vielerlei Hinsicht wollte Amber das auch gar nicht. Immer noch nagten Schuldgefühle an ihr, weil sie in Sicherheit war, während Caroline dieses schreckliche Schicksal erlitten hatte.
Blanche wandte sich von Ambers anklagendem Blick ab. Amber hätte ihr nicht geglaubt, wenn sie ihr die Wahrheit gesagt hätte, dass sie nämlich nichts von Caroline Fitton Leghs Schwangerschaft gewusst hatte und dass sie, hätte sie davon gewusst, Lord Fitton Legh die Bedingung gestellt hätte, das Baby als das seine anzuerkennen, wenn er ihr Geld annahm. Aber Amber hatte ja auch keinen Grund zu der Annahme, dies könnte der Wahrheit entsprechen.
»Ich würde es vorziehen, über ein so unangenehmes Thema überhaupt nicht zu reden, aber nachdem du es angesprochen hast«, Blanches Stimme war nun sehr kalt, »und nachdem Cassandra nun mit Carolines Ehemann verheiratet ist, darf man wohl davon ausgehen, dass Cassandra eigene Gründe hatte, überall zu verbreiten, Greg sei der Vater von Carolines Kind gewesen. Greg hat nichts von dem Kind gewusst.Vergiss nicht, Amber, Caroline Fitton Legh hat Greg zu der Affäre verführt, nicht umgekehrt. Bei einer verheirateten Frau darf man vermuten, dass sie die Risiken kennt, auf die sie sich einlässt. Alles wäre gut gewesen, wenn sie Cassandra nicht erzählt hätte, das Kind, das sie erwartete, sei nicht von Fitton Legh.«
Amber hörte Verärgerung und Verachtung aus der Stimme ihrer Großmutter heraus.
»Wenn Caroline Greg geliebt hat, wollte sie vielleicht, dass er es erfährt.«
Blanche atmete scharf ein. »Sie hat Greg nicht geliebt und er sie auch nicht. Caroline war eine verzogene, übertrieben gefühlsselige junge Frau, die für das, was ihr passiert ist, selbst verantwortlich war.«
»Es ist ja nicht nur ihr passiert«, meinte Amber, traurig in Gedanken an das Ungeborene.
»Was passiert ist, ist passiert, Amber. Und was dieses Mischlingsgör angeht, das Greg mitgebracht hat – ich habe ihm bereits gesagt, was ich davon halte. Als er gemerkt hat, dass sie und ihr Kind als blinde Passagiere an Bord waren, hätte er den Kapitän sofort anweisen müssen, den nächsten Hafen anzulaufen, statt abzuwarten. Dann hätte er ihre Rückreise nach Hongkong bezahlen können, wo sie schließlich hingehören. Auf die Art wäre er alle Verantwortung losgeworden, und der Kapitän hätte ihn nicht mit an Land gesetzt.«
»Der arme Greg«, murmelte Amber.
»Greg braucht dein Mitleid nicht, Amber. Er hat selbst genug davon, um sich darin zu suhlen«, meinte Blanche brutal. »Ich bin sehr enttäuscht von ihm. Er ist nicht der Mann, der sein Vater war.«
Ihre Großmutter sprach nicht oft von ihrem früh verstorbenen Sohn, und Amber verspürte einen ungewohnten Anflug von Mitgefühl. Nachdem sie selbst Mutter eines Sohnes war, konnte sie sich gut vorstellen, wie schwer dieser Verlust gewesen sein musste.
»Es ist bedauerlich, dass Jay Dr. Brookes rufen ließ, ehe ich Zeit hatte, die Lage richtig zu beurteilen«, fuhr Blanche fort. »Brookes ist ein so edel gesinnter alter Narr, dass es sinnlos wäre, ihm nahezulegen, der Natur ihren Lauf zu lassen, statt das Kind retten zu wollen.«
»Was für eine schreckliche Bemerkung«, protestierte Amber, der angesichts dieser Herzlosigkeit jedes Mitgefühl verging.
»Im Gegenteil, es ist eine äußerst vernünftige
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