Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Beruhigungsmittel gegeben, sie schläft jetzt.«
»Jay, das tut mir sehr leid.« Voller Gewissensbisse, weil sie ihm auch noch ihre Probleme aufgeladen hatte, wo er doch genug eigene am Hals hatte, berührte Amber seinen Arm in einer zärtlichen Geste des Mitgefühls. »Und jetzt auch noch das. Du hast schon genug, worum du dich kümmern musst.«
»Nicht doch. Dein Verständnis und deine Freundlichkeit bedeuten mir sehr viel.«
Er hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Lydia war besonders gewalttätig gewesen, bevor sie in dem kranken Wunsch versunken war, sich zu bestrafen, der normalerweise ihren Wutausbrüchen folgte. Sie hatte seine Brust mit den Fingernägeln traktiert und tiefe Kratzer hinterlassen, die immer noch brannten. In Ambers Gegenwart, die seinem gequälten Herzen normalerweise so viel Trost bot, schmerzten sie heute noch mehr.
» Du bedeutest mir sehr viel, Amber. Sehr, sehr viel. Mehr, als gut ist.« Er hatte es nicht sagen wollen, doch es war zu spät, die Worte waren ausgesprochen, hatten ihn verraten und, was noch schlimmer war, Amber in Verlegenheit gebracht.
Jays Stimme, belegt und gepresst, hatte nur das wiederholt, was auch in ihrem Herzen war, wie Amber sich eingestehen musste, als sie einander in bedrücktem Schweigen ansahen. Sie sollte jetzt gehen, denn wenn sie nicht ginge … Doch sie sah in Jays Augen, was sich in ihren eigenen Augen widerspiegelte. Und dies veränderte das Schweigen, füllte es mit tausend feinen unausgesprochenen Hoffnungen und Versprechen.
Es lag schon lange zwischen ihnen, uneingestanden und gefährlich, und jetzt war es offen ausgesprochen worden.Verlangen, einmal erfahren, konnte nicht vergessen werden, und in den Jahren, da sie vom Mädchen zur Frau herangewachsen war, war auch ihre Sinnlichkeit gereift. Sie musste nicht überlegen, wie sie reagieren würde, wenn Jay sie berührte – sie wusste es. Umso stärker wünschte sie sich jetzt, er möge sie berühren.
Sie wollte ihn. Sie wollte, dass Jay sie glühend und leidenschaftlich berührte, schmeckte, ihre Sinne auf jede erdenkliche Art und Weise erfüllte.Tief in ihrem Körper pochte ein dumpfer Schmerz, ein so starkes Verlangen, dass es sich anfühlte wie ein Schrei unerfüllten Begehrens.
Sie musste gehen. Sie wandte sich ab, doch dann drehte sie sich wieder zu ihm um und überschritt die Grenze, die nie zu überschreiten sie sich geschworen hatte.
Sie lag in Jays Armen, ihr Herz pochte stürmisch, ihre Sinne erfassten in einem gierigen Schwindel alles, was sie von ihm zu packen bekamen, um seine Gegenwart auszukosten. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn mit derselben Leidenschaft, mit der er sie küsste. Es war wie die Hitze der Sonne nach der Kälte des Winters, Hoffnung nach einer Zeit der Verzweiflung, Leben nach Tod, der einzige Sinn und Zweck ihres Daseins.
»Ich wünsche mir schon so lange, dich so zu halten«, sagte Jay mit heiserer Stimme.
»Und ich dich«, flüsterte Amber.
Sie konnte nicht aufhören, sich nach Berührung zu sehnen, nach Nähe, das Wunder dieser Intimität nach all den Jahren der Dürre auszukosten. Und sie wollte noch viel mehr. Sie wollte sich mit ihm an einen abgelegenen Ort zurückziehen, um ihn mit jeder Faser kennenzulernen.
»Ich will dich so sehr.« Da, sie hatte es gesagt, zum Teufel mit den Folgen.
»Ich will dich noch mehr, und ich will dich schon viel länger«, antwortete Jay.
Sie lachte zitternd und strich mit den Fingerspitzen über seine Lippen, schloss die Augen vor der starken Welle des Verlangens, die sie überkam, als er ihre Hand nahm und ihre Fingerspitzen eine nach der anderen küsste.
»Wir sollten nicht …«, setzte sie an.
»Nein«, stimmte er ihr zu, ließ ihre Hand jedoch nicht los.
»Küss mich noch einmal«, bat sie ihn.
In seinen Armen zu liegen war genauso wunderbar wie in ihren Träumen. Mit ihm zusammen zu sein war, als würde sie nach Hause kommen, und sie …
»Na, was ist denn hier los? Oder brauche ich das gar nicht zu fragen?«
Sie fuhren im selben Augenblick auseinander, da sie Cassandras Stimme hörten, doch es war natürlich zu spät. Sie hatte sie gesehen.
»Ich bin doch sehr überrascht von dir, Jay, wo die arme Lydia so krank ist, aber bei den Pickfords war es natürlich schon immer gang und gäbe, anderen die Ehepartner auszuspannen und Ehen zu zerstören.«
Amber wollte vor den Worten zurückweichen, als wären es Schläge, und sich vor ihnen schützen, doch wie konnte sie das, wo sie doch
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