Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
würde sofort damit zu seiner Großmutter laufen. Besser, er behielt es für sich. Es war ja auch nichts. Nur eine kleine wunde Stelle. Nicht die geringste Chance, dass es das war … Er musste sich wieder übergeben.
»Ich habe solche Schuldgefühle wegen Rose«, sagte Amber zu Jay.
Sie waren in Jays Salon. Amber hatte vorbeigeschaut, um Jays Kinder zu sehen, die aus dem Kinderzimmer kurz nach unten gebracht worden waren, um sie zu begrüßen, und dann vom Kindermädchen wieder nach oben gescheucht worden waren. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Jay zu Hause war, und auch nicht damit, dass sie sich so sehr freuen würde, als sie hörte, dass er da war.
»Ich hätte viel mehr tun können. Greg Geld schicken, zum Beispiel.«
»Glaubst du wirklich, das hätte er für seine Geliebte und ihr Kind ausgegeben?«
»Du hattest recht, mich zu warnen, dass er sich sehr verändert hat«, räumte Amber traurig ein. »Ich erkenne ihn kaum wieder. In der einen Minute ist er unglaublich schlecht gelaunt, und in der nächsten …« Sie seufzte. »Er trinkt viel mehr, als gut für ihn sein kann. Was ist, warum schaust du so?«, wollte sie besorgt wissen.
»Ich will deine Sorgen nicht noch vergrößern, Amber, aber ich habe den Verdacht, dass das Glücksspiel nicht die einzige Sucht ist, die Greg sich in Hongkong zugelegt hat.«
»Sucht?«
»Wilson hat gesagt, wenn man Gregs neuem Kammerdiener Glauben schenken kann, dann raucht Greg regelmäßig Opium. Dr. Brookes scheint es jedenfalls für möglich zu halten. Deiner Großmutter haben wir noch nichts gesagt.«
»Opium?«
Amber war nicht mehr das naive Mädchen, das sie einmal gewesen war. Die Mitford-Schwestern mochten in gespielter Naivität über Mädchenhändler kichern, die unschuldigen jungen Dingern Opium gaben und sie außer Landes schafften, doch es war kein Geheimnis, dass in der besseren Gesellschaft etliche Männer und Frauen kokainabhängig waren, insbesondere Mitglieder der jungen High Society.
»Aber wenn er damit und mit dem vielen Alkohol aufhören würde, könnte er doch sicher wieder gesund werden, oder?«
»Ja«, stimmte Jay vorsichtig zu. Vermutlich glaubte er nicht, dass Greg je die Finger davon lassen würde.
Wie grausam das Leben doch war. Wer hätte je gedacht, dass Greg mit seinem unbeschwerten Charme und seinem Überschwang, abgöttisch geliebt von ihrer Großmutter und mit beneidenswerten Zukunftsaussichten, zu so einem schrecklichen und zerstörerischen Lebensstil hinabgezogen werden könnte?
»Wenn er nicht nach Hongkong gegangen wäre«, setzte sie an, um ihn zu verteidigen, doch Jay schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, die Schwäche liegt in Greg, Amber, nicht in seinen Lebensumständen.«
Es kam ihr treulos vor, es zuzugeben, doch im Herzen wusste Amber, dass Jay recht hatte.
»Es ist nicht zu spät, er kann sich noch ändern.«
»Wenn er es will«, stimmte Jay ihr zu.
»Glaubst du denn nicht, dass er es will?«
»Ich weiß es nicht, Amber. Wenn ich Greg im Augenblick anschaue, sehe ich einen selbstsüchtigen Mann, der sich in Selbstmitleid suhlt.«
Amber konnte nicht leugnen, dass die Beschreibung zutreffend war.
»Ich mache mir Sorgen um die kleine Rose«, sagte sie. »Großmutter hasst sie, und darauf, dass Greg ihr ein guter Vater ist, ist offensichtlich kein Verlass. Betsy und Sheila sind wunderbar, aber wenn sie aus irgendeinem Grund gehen, hat die Kleine niemanden mehr. Ich würde sie ja mit nach Hause nehmen, aber …«
»Ich verspreche dir, dass ihr nichts passiert«, versicherte Jay ihr. »Ich passe so gut auf sie auf, als wäre sie mein eigenes Kind, und ich halte dich über ihre Fortschritte auf dem Laufenden, darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Oh, Jay, du bist so nett.« Tränen brannten in Ambers Augen, sie musste sie wegblinzeln. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde, du bist immer so wunderbar freundlich und hilfsbereit.« Sie durfte nicht noch mehr sagen. Sie würde ihn in Verlegenheit bringen und, was noch gefährlicher war, Gefühle preisgeben, die ihr verboten waren. »Ich hatte gehofft, Lydia zu sehen«, sagte sie, um das Thema zu wechseln.
»Ich fürchte, das geht nicht. Ich musste gestern Abend Dr. Brookes herbitten. Wenn es ihr nicht gut geht, spricht sie manchmal davon, sich etwas anzutun, weil sie glaubt, sie wäre wertlos. Ich versichere ihr, dass das Unsinn ist, aber um ehrlich zu sein, glaube ich, dass meine Gegenwart die Situation nur verschlimmert. Dr. Brookes hat ihr ein
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