Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
froh sein, dass Cassandra sie gesehen hatte. Die Demütigung und die Schuldgefühle waren ihre gerechte Strafe. Und der Verlust ihres besten Freundes – war das ebenfalls eine gerechte Strafe?
Seit ihrer Rückkehr nach London hatte sie nichts von Jay gehört, und auch sie hatte nicht versucht, sich mit ihm ihn Verbindung zu setzen. Wie konnte sie auch, nach allem, was passiert war? Ihr schlechtes Gewissen verfolgte und quälte sie.
Bevor »es« geschehen war, hatte er ihr aber noch versprochen, ihr zu schreiben und von Roses Fortschritten zu berichten. Jenseits aller persönlicher Befindlichkeiten fühlte Amber sich moralisch verantwortlich für die Gesundheit des kleinen Mädchens – mütterlich verantwortlich, nachdem die richtige Mutter nicht mehr da war, um über ihr Kind zu wachen. Dieser Verantwortung konnte sie sich nur wegen ihrer eigenen Gefühlsverwirrungen nicht entziehen. Was aber war mit Jay? Würde er sein Versprechen halten und ihr von Rose berichten? Oder würde er es für besser halten, jeglichen Kontakt zu ihr abzubrechen? Konnte sie das ertragen? Er war ihr engster und bester Freund, der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen und dem sie vertrauen konnte. Wie dumm von ihr, dies für ein paar Augenblicke der Leidenschaft zu opfern, eine lebenslange Freundschaft durch einen einzigen Kuss zu zerstören.
»Sylvester, Liebster, geh mir doch bitte aus dem Licht.«
Cecils neuer Assistent zog eine Schnute und warf die blonden Locken zurück.
»Ich war letzte Woche in Paris«, sagte Cecil zu Amber. »Roberts junger Freund Otto war allgegenwärtig, in Gesellschaft einiger kräftiger Brünhilden. Ich kann verstehen, warum der arme Robert so in ihn vernarrt war. Der Knabe übt einen sehr gefährlichen Reiz aus, so herausfordernd und aufregend. Ich war fast in Versuchung, es selbst bei ihm zu versuchen.«
»Oh, Cecil, das darfst du nicht«, protestierte Amber. »Robert wäre sehr verletzt. Otto war furchtbar unfreundlich zu ihm, weißt du?«
»Ja, ich weiß.« Cecil grinste sie an. »Und Roberts Freundschaft bedeutet mir wahrlich mehr als eine zwanglose Affäre. Das war nur ein Witz. Ich nehme an, Robert will immer noch zur Olympiade fahren?«
»Ja. Er meint, es wäre zu schade, wenn Luc die Spiele verpassen würde. Er glaubt, die Reise würde Luc guttun.«
»Hitlers Propagandamaschinerie tut die Olympiade sicher gut«, meinte Cecil. »Die anderen Staaten bedauern sicher, dass Deutschland die Spiele ausrichten darf, jetzt, wo Hitler mit seiner rechtsgerichteten Politik so stark geworden ist. In Amerika laufen sie bereits Sturm dagegen.«
»Aber doch mit gutem Grund«, versetzte Amber.
Sie empfand es als Erleichterung, ihre Gedanken auf größere Probleme als ihre eigenen zu lenken. Die schreckliche Not des jüdischen Volks, das sich in Hitlers antijüdischen Gesetzen verfangen hatte, musste jeden entsetzen, der auch nur einen Funken Mitgefühl und Menschlichkeit in sich trug. Amber konnte nicht nachvollziehen, dass es Leute gab, die sich nicht über Hitlers schreckliche Pläne aufregten, noch viel weniger Leute, die ihn tatsächlich unterstützten, doch leider gab es auch in England viele, die antisemitische Gefühle hegten und förderten. Amber wusste, wie ihre Eltern das empfunden hätten. Sie hätten mit zu den Ersten gehört, die sich erhoben und sich für die Unterdrückten und Gequälten eingesetzt hätten.
»Ich glaube, die Öffentlichkeit interessiert sich mehr für Unity Mitfords Schwärmerei für den Führer als für die Juden«, meinte Cecil. »Das ist so grotesk, dass es schon fast wieder amüsant ist. Diana und Tom Mosley werden sicher zu den Spielen fahren. Jetzt, wo alles danach aussieht, dass er der nächste Botschafter in England wird, hat Herr von Ribbentrop an alle, die er für einflussreich hält, großzügig Einladungen verteilt. Während du also attraktiven jungen Männern dabei zusehen musst, wie sie ihre Muskeln spielen lassen, muss ich leider arbeiten. Und bei deiner Rückkehr kannst du dich über all die Aufregung bei der Eröffnung deines Ladens freuen.«
»Ich weiß nicht, ob das nicht zu aufregend wird, Cecil. Ich bin furchtbar nervös. Was ist, wenn der Laden keinen Anklang findet oder …«
»Mein liebes Mädchen, natürlich findet er Anklang. Die Leute werden ihn lieben! Wie auch nicht, wenn sie erst einmal die Vogue gesehen haben? Mein Bild wird sie mit Sehnsucht erfüllen, ihre Häuser mit deinen Stoffen zu füllen.«
Amber lachte. Sie wünschte, sie
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