Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
wie klein Gregs Tochter immer noch war. Klein, aber laut Dr. Brookes schon viel gesünder; der Arzt meinte sogar, ihre Beine würden vielleicht nicht so schwach bleiben, wie er zunächst befürchtet hatte.
Unten in der Eingangshalle standen die Dienstboten Spalier, um sich von Luc zu verabschieden. Angesichts der erwachsenen Miene, mit der Luc ihnen die Hand schüttelte, konnte Amber es sich nicht verkneifen, mit Robert ein Lächeln voll elterlichem Stolz zu tauschen.
»Bald komme ich ja schon wieder zu den Sommerferien nach Hause«, beruhigte er seine Mutter, als er zu seinem Vater in den Wagen stieg, und fügte, an Robert gewandt, begeistert hinzu: »Ich kann es gar nicht erwarten, die Jacht zu sehen, Daddy.«
Robert hatte vor kurzem eine Jacht gekauft, die Seabreeze , und sie hatten vereinbart, die Sommerferien an Bord zu verbringen.
»Bitte entschuldige mich bei deiner Großmutter, weil ich diesmal nicht mitkommen kann, ja?«, bat Robert Amber und küsste sie auf die Wange, ehe er die Autohandschuhe überstreifte und sich zum Wagen umdrehte.
Blanche hatte Amber Anfang der Woche geschrieben und sie gebeten, nach Macclesfield zu kommen, da sie mit ihr etwas Wichtiges zu besprechen habe. Da Robert schon vereinbart hatte, mit ein paar Freunden nach Südfrankreich zu reisen, um die Jacht zu testen, sobald er Luc ins Internat zurückgebracht hatte, musste Amber ohne ihn fahren. Blanche wäre natürlich enttäuscht. Ihre Großmutter genoss es immer noch, ihren adeligen Schwiegersohn herumzureichen, und arrangierte mindestens eine große Dinnerparty, wenn er zu Besuch in Denham Place war.
Was Blanche wohl mit ihr besprechen wollte? Hatte Cassandra doch weitererzählt, dass sie sie mit Jay erwischt hatte? Wenn ihrer Großmutter der Klatsch zu Ohren gekommen war, wollte Amber ihr unmissverständlich klarmachen, dass alle Schuld bei ihr lag, nicht bei Jay, jedwede Strafe also allein sie treffen musste, nicht ihn.Wenn ihre Großmutter nun auf die Idee käme, Jay zu strafen, indem sie ihn entließ? Amber wurde schon bei dem Gedanken übel, und sie betete, dass dies nicht der Grund war, warum Blanche sie nach Macclesfield rief.
Doch es hatte keinen Sinn, sich vor Sorgen krank zu machen, ehe sie überhaupt wusste, was Blanche ihr mitzuteilen hatte. Sicher hätte Jay einen Weg gefunden, sie zu warnen. Nein, sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren. Auch wenn sie sich nicht darauf freute, ihrer Großmutter zu begegnen, freute sie sich doch auf die kleine Rose, die sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen hatte.
Glücklicherweise schien Luc durch Gregs Verhalten keinen Schaden davongetragen zu haben; allerdings war Robert, genau wie Blanche vorausgesagt hatte, sehr zornig gewesen, als sie ihm von dem Vorfall erzählt hatte, und hatte angedroht, Greg dürfe sie nicht mehr besuchen.
Amber war natürlich nicht davon ausgegangen, dass Jay sie am Bahnhof von Macclesfield abholte, und das tat er auch nicht. Nicht gerechnet hatte sie jedoch mit dem Elend, das sie empfand, weil Jay nicht da war. Es überrollte sie wie die dunkelgrauen Wolken, die so oft von den Hügeln von Buxton und Derbyshire heranzogen und feuchte Luft nach Macclesfield brachten, was für die Seidenherstellung ein bedeutender Vorteil war. Die Regenwolken von Derbyshire mochten günstig für ihre Arbeit sein, doch ihre eigenen grauen Wolken taten ihr nicht gut. Ihre Großmutter hatte ihren Wagen geschickt, um sie abholen zu lassen; während Amber nach außen hin freundlich lächelnd mit dem Chauffeur plauderte, sehnte sie sich insgeheim nach den Tagen, als Jay derjenige gewesen war, der sie nach Hause brachte.
Amber bemühte sich, nicht zum Witwensitz zu blicken, als sie durch das Haupttor fuhren, doch als sie Jays Wagen dort parken sah, geriet ihre Entschlossenheit ins Wanken.
Ob er jetzt wohl im Haus war? Würde er den Wagen sehen und sich denken, dass sie darin saß, oder stand sein Wagen nur da, weil er ihn nicht brauchte? Im Rahmen seiner Arbeit hatte er überall auf dem Gut zu tun, und Amber wusste, dass er die Pächter gern zu Fuß besuchte, wenn er Zeit dazu hatte. Er hatte ihr einmal erklärt, dass ihm das Gelegenheit gab, das Land zu studieren und sich zu vergewissern, dass es wohl bestellt war.
Robert hatte oft gesagt, wie glücklich sich Ambers Großmutter schätzen durfte, dass Jay für sie arbeitete. James Lees-Milne, der durch seine Arbeit für den National Trust Einblick in sehr viele Herrenhäuser erlangte, hatte Amber
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