Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
erzählt, er habe selten ein so gut bewirtschaftetes Anwesen wie Denham Place gesehen. Amber hatte voller Stolz der Lobeshymne gelauscht und sich für Jay gefreut.
Als Harris den Bentley vor dem Haus ruckend zum Stehen brachte, schoss ein anderer Wagen an ihnen vorbei, dass der Kies spritzte, ein tiefergelegter Sportwagen, dessen dunkelgrüne Karosserie glänzte.
»Hat mein Cousin einen neuen Wagen, Harris?«, erkundigte sich Amber.
Greg hatte sich an Weihnachten wortreich darüber beklagt, dass ihre Großmutter sich weigerte, ihm einen Wagen zu kaufen, doch Amber hatte schon vermutet, dass sie nachgeben würde.
»Nein, das wird wohl Mr Stanley sein, der Master Greg zurückbringt«, erklärte Harris kummervoll.
Mr Stanley? Damit meinte Harris wohl Gregs Freund Geoff Stanley, der mit seinem Cousin Anteile des beliebten örtlichen Fußballclubs besaß. Amber beobachtete, wie die Türen des Sportwagens aufgerissen wurden und ihr Cousin und sein Freund heraussprangen.
Das klare Frühlingslicht enthüllte unbarmherzig, welche Schäden Gregs Lebensführung seinem einst so hübschen Gesicht und seinem Körper zugefügt hatte. Geoff Stanley, der im selben Alter war wie Greg, wirkte zehn Jahre jünger. Keiner von beiden schien den Bentley bemerkt zu haben, zweifellos, weil sie sich gerade erbittert stritten. Amber betrachtete sie besorgt. Geoff Stanley rief Greg irgendetwas zu, doch der ignorierte ihn und wandte sich ab. Geoff rief Greg offenbar zu, er solle doch stehen bleiben, und als er es nicht tat, schlug er mit der Faust auf das Wagendach, sprang wieder in sein Automobil und fuhr davon, während Greg Richtung Ställe ums Haus verschwand.
»Danke, Harris«, sagte Amber, als der Chauffeur ihr den Schlag öffnete. »Bitte richten Sie Mrs Harris aus, ich wünsche ihr, dass ihr Rheuma bald besser wird.«
»Aye, das hoffen wir alle, Euer Gnaden. Den ganzen Winter hat sie nichts anderes gemacht als gejammert. Davon hab ich fast so viele Schmerzen gekriegt wie sie«, beklagte er sich.
Das Haus verströmte den frühlingsfrischen Geruch, an den Amber sich aus ihrer Kindheit gut erinnerte. Die strahlend sauberen Fenster, die glänzenden Lackarbeiten und die auf Hochglanz polierten Oberflächen legten beredtes Zeugnis davon ab, dass Blanche ihren Haushalt fest im Griff hatte.
Mrs Clements stand bereit, um Amber willkommen zu heißen. Mit einem Stirnrunzeln zähmte sie die nervöse Erregung eines neuen, sehr jungen Dienstmädchens, das kichernd errötete, als es Amber vorgestellt wurde.
»Vermutlich möchte meine Großmutter jetzt nicht gestört werden«, meinte Amber und lächelte die Haushälterin an, »daher gehe ich am besten direkt in den Kindertrakt, um meine Nichte zu begrüßen.«
»Nun, Mrs Pickford hat gesagt, sie würde Sie gern sehen, sobald Sie Zeit hatten, sich ein wenig frisch zu machen, Euer Gnaden«, versetzte Mrs Clements.
»Oh, na schön, in dem Fall gehe ich gleich auf mein Zimmer und ziehe mich um.«
Amber brauchte nicht lange, um Mantel und Hut abzulegen und in ein Nachmittagskleid von Mainbocher zu schlüpfen, einem Lieblingsmodeschöpfer der Herzogin von Windsor. Cecil hatte sie überredet, Mainbocher zu tragen, weil er fand, seine Kleider seien genau das Richtige für sie.
Das Kleid aus smaragdgrüner Seide, das von einem passenden Jäckchen mit schwarzem Besatz ergänzt wurde, war elegant geschnitten und fürs Land fast ein wenig zu schick, aber Amber war sich sicher, dass ihre Großmutter den Stil zu würdigen wusste. Sie lächelte ihrem Spiegelbild kläglich zu, während sie ein Paar großer, eckiger Smaragdohrringe befestigte, Roberts neuestes Geschenk.Wirklich lächerlich, dass sie als verheiratete Frau immer noch ängstlich wie ein Schulmädchen darauf bedacht war, ihrer Großmutter zu gefallen.
Sie blickte zur Tür. Am liebsten wäre sie gleich hinauf in den Kindertrakt gegangen, doch ihre Großmutter hatte sicher schon gehört, dass sie da war.
Es war wie ein Wunder, dass die Jahre an ihrer Großmutter scheinbar spurlos vorübergingen, überlegte Amber. Wobei Oscar Wilde in Das Bildnis des Dorian Gray natürlich eine ganz andere und recht makabere Erklärung dafür lieferte, warum manche Menschen nicht alterten. Nicht dass Amber sich vorstellen konnte, dass ihre Großmutter je so eitel oder schwach gewesen wäre, einem anderen eine solche Macht über sich einzuräumen.
Sie saß in ihrem Lieblingssessel, ihr Rücken war stockgerade wie eh und je, ihr Haar dicht und makellos
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