Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
entwerfen. Ich wüsste zu gerne, was die Wahrsagerin zu Louise gesagt hat – sie war ja ewig drin.«
»Ich weiß nicht«, sagte Amber, »aber was es auch war, es muss etwas Angenehmes gewesen sein, denn seither hat sie so etwas Geheimnisvolles und Selbstgefälliges im Blick.«
»Allmählich werde ich wirklich nervös wegen der Vorstellung bei Hofe; ich bin froh, wenn wir es überstanden haben. Ich freu mich so, dass wir zu einem der frühen Cour-Tage gehen können und nicht bis Juni warten müssen, du nicht auch?«
Sie sollten am nächsten Tag vorgestellt werden, und Amber, die mit ihrer eigenen Angst zu kämpfen hatte, stimmte ihrer Freundin zu.
»Lady Rotherford, meine Patin, hat Mummys Einladung zu meinem Ball angenommen.« Beth errötete ein wenig. »Ihr Sohn Alistair kommt auch. Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, aber er war immer sehr unterhaltsam. Natürlich kommt jetzt erst einmal dein Ball. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass Teddy darauf bestanden hat, Mummy zu begleiten?« Beth warf ihr einen neckenden Blick zu. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, Teddy könnte gut und gern dabei sein, sich in dich zu verlieben. Wenn sein Großvater stirbt, wird er mal Herzog, weißt du, und er ist furchtbar reich.«
Amber lachte. »Natürlich nicht«, leugnete sie.
In Wahrheit hatte sie eher das Gefühl, dass sie dabei war, sich in ihn zu verlieben. Nicht dass sie das Beth gegenüber einräumen würde; als Beths Mutter ihr Lord Robert vorgestellt hatte, hatte sie ja nicht einmal zugegeben, dass sie ihn schon kannte. Das war allein ihr Geheimnis, und jedes Mal, wenn sie daran dachte, empfand sie ein warmes Glühen.
»Wir hatten viel Spaß, nicht?«
Amber nickte.
Sie befanden sich im Café auf dem Dach von Selfridges, Lord Robert in Verkleidung.
»Mir war nicht klar, dass Sie und Beth so gute Freundinnen sind.«
In Amber regte sich Besorgnis. »Das macht aber doch nichts, oder?«
»Natürlich nicht. Außerdem haben Sie inzwischen so viel zu tun, dass Sie Ihren alten Professor bald vergessen haben werden.«
Amber wollte schon protestieren, doch Lord Robert fuhr fort: »Was auch ganz gut ist. Wenn wir mit unserem kleinen Spiel noch lange weitermachen, wird man uns früher oder später vermutlich ertappen, und so entzückend und unschuldig das alles auch ist, will ich wirklich nicht, dass Ihr Ruf in Mitleidenschaft gezogen wird.«
Ambers Hand zitterte, als sie die Tasse abstellte.
»Ja, ja, natürlich. Sie haben recht. Ich weiß.«
Sie wusste es wirklich. In der kurzen Zeit, die sie nun in London weilte, hatte Amber eine ganze Menge über das Leben gelernt. Wenn Beth schon schockiert und missbilligend reagierte, wenn Louise mit George Ponsonby tanzte, was würde sie dann erst sagen, wenn sie wüsste, dass Amber regelmäßig allein mit Lord Robert ausging? Die Londoner Gesellschaft liebte Klatsch, und Klatsch konnte grausam sein. Der Ruf einer unverheirateten jungen Frau durfte von keinerlei Skandal getrübt werden.
Die sanfte Liebe ihrer Eltern schien Welten entfernt von dem, was Amber ringsum beobachtete. Die Leute sprachen offen von der Geliebten des Prince of Wales, einer verheirateten Frau natürlich. Es gab so viele Regeln, die man lernen, und Signale, die man verstehen musste. Sie war schockiert gewesen, als sie erfahren hatte, dass Diana Guinness, für die Amber anfangs ein wenig geschwärmt hatte, offen von Evelyn Waughs Ergebenheit sprach und den Autor praktisch eingeladen hatte, bei ihr und Bryan zu wohnen, während er sich von seiner Scheidung erholte.
Die Gesellschaft, so hatte Amber gelernt, betrachtete es bei einer verheirateten Frau als vollkommen akzeptabel, sich einen Liebhaber zu nehmen, sobald sie ihrem Gatten einen Erben geschenkt hatte. Selbst die prüde Beth sprach offen über Beziehungen zwischen Menschen, die nicht miteinander verheiratet waren.
Ein männliches Mitglied der Aristokratie konnte und durfte erwarten, dass seine Geliebte zu gesellschaftlichen Ereignissen mit eingeladen wurde, und zwar als seine Begleiterin – vorausgesetzt, ihre Herkunft war der Gastgeberin gut genug. Sogar mehrtägige Gesellschaften konnten sie zusammen besuchen, bekamen dann allerdings getrennte, wenn auch nah beieinanderliegende Schlafzimmer. Wenn der Prince of Wales eine Affäre hatte, umgab er seine Geliebte stets mit einigen seiner besten Freunde, zu denen mitunter auch ihr Ehemann zählte.
Und dann war da noch die andere Sorte Geliebte, jene, denen die Männer ein
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