Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
diskretes, teures Haus in St. John’s Wood einrichteten, um sie dort zu besuchen. Diese Geliebten waren oft Revuegirls. Sie konnten ihre adeligen Liebhaber nach Cannes oder Monte Carlo begleiten und mit ihnen zum Grand Prix oder auf eine zwielichtige Party gehen, aber die gesellschaftlichen Ereignisse, an denen die Männer in Begleitung ihrer hochwohlgeborenen Geliebten teilnahmen, blieben ihnen verschlossen.
Ein paar adelige Gattinnen hatten früher einmal auf der Bühne gestanden, doch sie bildeten die Ausnahme.
Eines jedoch stand unverrückbar fest: Eine junge, unverheiratete Frau musste sich ihren untadeligen Ruf um jeden Preis bewahren.
Amber war den Tränen nahe und fürchtete, sich zu blamieren. Sie durfte Lord Robert nicht in Verlegenheit bringen, indem sie ihm eine alberne Szene machte. Sie würde ihn schrecklich vermissen – er war so nett zu ihr gewesen -, aber sie war nur ein junges, unerfahrenes Ding, und er war so weltläufig und so attraktiv, dass er jede Frau haben konnte, die sein Herz begehrte. Ich kann unmöglich erwarten, dass er sich in mich verliebt, dachte sie elend, während sich die Dämmerung über die Oxford Street senkte. Das war der Stoff, aus dem Märchen gemacht werden. Und sie war viel zu vernünftig, um an so etwas zu glauben.
Louise stand im Eingang von Harvey Nichols und schauderte, vor Erregung ebenso wie vor Ungeduld. Sie hatten sich dort verabredet, weil sie dann, falls jemand sie sehen sollte, einfach behaupten konnte, sie habe George zufällig beim Einkaufsbummel getroffen.
In dem Augenblick, da er ihr auf dem Guinness-Ball jenen bedeutungsvollen Blick zugeworfen hatte, hatte sie gewusst, dass sie ihn wiedersehen musste. Wenn er dieses Rendezvous nicht vorgeschlagen hätte, hätte sie gewiss einen Weg gefunden, dafür zu sorgen, dass sie einander wieder begegneten.
Louise schauderte noch einmal, diesmal nur vor Erregung. Sie hatte sich so bedeutend gefühlt, als George sie seiner Aufmerksamkeiten für wert befunden hatte. Natürlich kannte sie seinen Ruf, aber der machte ihn in ihren Augen nur noch attraktiver.
Er dachte, er könnte sie verführen, doch sie beabsichtigte stattdessen, ihn in sie verliebt zu machen. Schon in sehr jungen Jahren hatte Louise entdeckt, wie leicht – und wie aufregend – es war, Männer zu manipulieren. Etwas in ihrem Innern verzehrte sich nach dieser Aufregung.
Louise sehnte sich nach dem Tag, da sie zu den gefeierten Schönheiten gehören würde, die ihr Leben im Luxus verbrachten und denen man jeden noch so ausgefallenen Wunsch von den Augen ablas. Das Leben, nach dem sie sich sehnte, war nicht das Leben, das ihre Mutter für sie im Auge hatte: ein ödes, langweiliges Leben voller hausfraulicher Pflichten an der Seite eines ebenso öden wie langweiligen Gatten aus derselben gesellschaftlichen Schicht, dem sie dann auch noch dankbar sein musste, weil er sie ohne Mitgift geheiratet hatte. Nein, Louise wollte leben wie jene schönen jungen Frauen, die sie an der Seite ihrer reichen, oft viel älteren Liebhaber beobachtet hatte, die ihnen alle Wünsche erfüllten. In einem solchen Leben würde sie die schönsten Kleider und Juwelen tragen können und zur High Society gehören, der seine Tage in einem Wirbel gesellschaftlicher Aktivitäten verbrachte, Spielkasinos an der französischen Küste und verrufene Nachtclubs in London aufsuchte, schnelle Wagen und elegante Jachten fuhr, in den luxuriösesten Hotelbetten nächtigte, die köstlichsten Mahlzeiten verspeiste und immer und überall auf dem Präsentierteller saß. Sie würde bewundert, von Männern begehrt und von ihrem eigenen Geschlecht beneidet werden; auf jeden Fall aber wäre sie der leuchtende, funkelnde Mittelpunkt der Hautevolee.
Ihr Liebhaber würde sie anbeten und mit Geschenken überhäufen – dem einen oder anderen Rennpferd, natürlich Schmuck, einem hübschen Haus in London und einer Villa in Südfrankreich. Nichts wäre ihm zu viel, jeden Wunsch würde er ihr erfüllen. Und natürlich gäbe es daneben andere Männer, junge, wunderbar attraktive Männer, die sich ebenfalls nach ihr verzehrten und sie anbeteten.
Sie wollte alles. Sie würde alles bekommen. Das gelobte Louise sich.
Ihre Beziehung zu George Ponsonby war schlicht der Punkt, an dem alles beginnen würde.
Natürlich konnte sie George nicht heiraten, aber das wollte sie auch nicht. Dazu war er ihr nicht reich genug. Aber was für ein Triumph es wäre, ihn als ihre Eroberung präsentieren zu können, vor
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