Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
doch es war ein ganz anderer, den Amber eines Abends vor dem Abendessen auf der Terrasse mit Lady Levington antraf, nachdem sie sich mit der Abendtoilette hatte beeilen müssen, weil sie so lange bei Jean-Philippe geblieben war. Sie brachte es gerade noch fertig, sich im nicht in die Arme zu werfen, so sehr freute sie sich, ihn zu sehen.
»Robert!«
Er war, erklärte er, bei Freunden in Cannes zu Besuch und hatte einfach vorbeikommen müssen.
»Cecil lässt dir ganz besonders herzliche Grüße ausrichten, falls du dich an ihn erinnerst«, erklärte er Amber, die lachend den Kopf schüttelte.
»Ich bin mir sicher, dass er nichts dergleichen gesagt hat. Er weiß, dass ich ihn nie vergessen werde. Ich bin so dankbar für seine Freundlichkeit.«
Lord Robert brachte Amber mit seiner komischen Beschreibung der mal de mer zum Lachen, unter der er gelitten hatte, als seine Freunde ihn zum Segeln mitgeschleppt hatten, da gesellte sich Jean-Philippe zu ihnen, um mit ihnen zu Abend zu essen.
Ambers Herz lief vor Liebe und Stolz über, als Lady Levington Jean-Philippe Lord Robert vorstellte. Sie hätte Lord Robert gerne erzählt, wie sehr sie Jean-Philippe liebte, doch das ging in Anwesenheit von Lady Levington natürlich nicht.
»Jean-Philippes Patentante gehört die Villa, Teddy«, erklärte Lady Levington.
Lord Robert hatte geraucht, doch jetzt runzelte er plötzlich die Stirn und wandte den Blick von ihnen ab und drückte mit großer Sorgfalt seine Zigarette aus.
»Jean-Philippe ist Künstler«, fuhr Lady Levington fort.
»Und welche Schule bevorzugen Sie, Monsieur?«, fragte Lord Robert Jean-Philippe.
»Keine. Ich ziehe es vor, meinem eigenen Weg zu folgen und mir selbst einen Namen zu machen.«
Amber hörte den hochmütigen Groll in Jean-Phi lippes Stimme und trat instinktiv näher zu ihm und richtete einen Blick beschützerischer Empörung auf Lord Robert.
Zu Ambers Leidwesen sorgte Lord Roberts Anwesenheit an diesem Abend für eine gewisse Spannung, die sie sich nicht recht erklären konnte. Sie wünschte sich verzweifelt, dass er und Jean-Philippe einander mochten, doch wenn das nicht möglich war, musste ihre Loyalität bei Jean-Phi lippe liegen, ihrem Seelenverwandten und Geliebten.
Sobald das Essen vorbei war, verkündete Jean-Philippe, er müsse zurück in sein Atelier, und nicht lange danach entschuldigte sich auch Amber, indem sie vorgab, sie habe Kopfschmerzen. Sie eilte den schmalen Pfad hinunter hinter ihm her.
Er wartete an der Tür auf sie, zog sie mit sich hinein und küsste sie glühend, und natürlich blieb sie viel länger bei ihm, als sie vorgehabt hatte.
Es spielt keine Rolle, beruhigte sie sich, als sie zurückging. Lady Levington würde sich wahrscheinlich über die Gelegenheit freuen, Lord Robert für sich zu haben, und Lord Robert hatte hoffentlich Zeit, seine seltsame Stimmung abzuschütteln.
Sie hatte fast die Terrasse erreicht, als Lord Robert vor ihr aus dem Schatten trat. Abrupt blieb sie stehen.
Er rauchte, und genau wie vorher drückte er seine Zigarette aus, ohne sie zu Ende zu rauchen, als hätte er nur geraucht, um sich beim Warten auf sie die Zeit zu vertreiben. Das war natürlich unmöglich. Er hatte schließlich nicht wissen können, dass sie draußen war. Sie und Jean-Philippe mochten einander lieben, doch Amber wusste sehr wohl, dass es sich in den Augen der Welt nicht gehörte, wenn sie ohne Anstandsdame mit ihm zusammen war, und noch weniger akzeptabel war es, dass sie sich ihm so hingab. Nicht dass sie es bereute, keine Minute. Schließlich hatte sie das leidenschaftliche russische Blut ihres Vaters in den Adern, und Jean-Phi lippe so zu lieben, wie sie ihn liebte, machte es ihr unmöglich, ihm diese Liebe nicht zu zeigen.
»Gehst du ein Stück mit mir, Amber? Ich muss etwas mit dir besprechen, und ich denke, das tun wir am besten unter vier Augen.«
Amber hatte böse Vorahnungen und wollte sich weigern, doch Robert fasste sie schon am Ellbogen und führte ihre Schritte den Pfad hinunter in den formellen Teil des Gartens.
»Meine Patin hat mir erzählt, dass du für Jean-Philippe Modell sitzt.«
»Ja«, sagte sie nervös.
»Er hat dir vermutlich etwas über sein Leben erzählt?«
Jetzt war Amber verwirrt. Sie hatte gedacht, Lord Robert würde sie fragen, wer im Atelier ihre Anstandsdame war, und sie hatte gewusst, dass sie ihn unmöglich anlügen konnte.
»Ich weiß, dass er, genau wie ich, seine Eltern sehr jung verloren hat und seither hier bei seiner
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