Der Glanz des Mondes
ihnen. Lass uns Handel mit ihnen treiben. Lass uns von ihnen lernen.«
Es fiel mir schwer, mir die Zukunft vorzustellen. Alles, woran ich denken konnte, war der bevorstehende Kampf.
Auf der Höhe des Nachmittags waren die letzten der Männer an Bord. Fumio sagte mir, dass wir aufbrechen sollten, um die Abendflut nicht zu verpassen. Ich nahm Taku auf meine Schultern, und Kenji, Zenko und ich wateten hinaus zu Fumios Boot und wurden über den Dollbord gezogen. Der Rest der Flotte hatte bereits abgelegt, die gelben Segel blähten sich im Wind. Ich starrte zurück zum Festland, wie es kleiner und kleiner wurde und schließlich im Abendnebel verschwand. Shizuka hatte versprochen, Nachrichten zu schicken, ehe wir in See stachen, doch wir hatten nichts von ihr gehört. Ihr Schweigen mehrte meine Sorge, um sie und auch um Kaede.
KAPITEL 10
Rieko war sehr nervös veranlagt und der Taifun ängstigte sie ebenso stark wie zuvor der Erdstoß. Er trieb sie an den Rand eines Zusammenbruchs. Kaede war trotz des Unbehagens, das der Sturm ihr bereitete, dankbar, der ständigen Aufmerksamkeit dieser Frau zu entgehen. Doch nach zwei Tagen legte sich der Wind, es folgte klares Herbstwetter und Rieko wurde wieder gesund. Ihre Kraft kehrte zurück und damit auch ihre lästige Beaufsichtigung.
Jeden Tag schien sie sich etwas Neues zu überlegen, was sie mit Kaede tun könnte, zupfte ihr die Augenbrauen, schrubbte ihre Haut mit Reiskleie, wusch und kämmte ihr Haar, puderte ihr Gesicht zu einer unnatürlichen Blässe und cremte ihr Hände und Füße ein, bis die Haut so glatt und durchscheinend war wie Perlmutt. Sie wählte die Garderobe für Kaede aus und kleidete sie mit Hilfe der Mädchen an. Ab und zu, als besondere Ehre, las sie ihr ein wenig vor oder spielte ihr etwas auf der Laute vor - wofür, wie sie Kaede wissen ließ, man sie als ungemein begabt ansah.
Fujiwara machte ihr einmal am Tag seine Aufwartung. Kaede wurde von Rieko in der Kunst der Teezubereitung unterwiesen und sie bereitete ihn vor seinen Augen zu, befolgte schweigend die Vorschriften der Zeremonie, während er jede ihrer Bewegungen beobachtete und sie von Zeit zu Zeit korrigierte. Bei schönem Wetter saßen die Frauen in einem Zimmer, das auf einen kleinen, abgeschlossenen Garten hinausging. Dort standen zwei verschlungene Kiefern und ein uralter Pflaumenbaum neben Azaleen und Pfingstrosen.
»Im Frühjahr werden uns die Blumen viel Freude bereiten«, sagte Rieko, denn die Büsche waren von herbstlich mattem Grün und Kaede dachte an den langen Winter, der vor ihr lag und auf den der nächste folgen würde und dann der nächste; zu einem leblosen Schmuckstück würde man sie reduzieren, betrachtet nur von Lord Fujiwara.
Das Zimmer mit seinem schönen Blick erinnerte sie an jenes im Schloss Noguchi, in dem sie kurz mit ihrem Vater gesessen hatte, als man ihm mitgeteilt hatte, dass sie Lord Otori Shigeru heiraten würde. Damals war er stolz gewesen, erleichtert, dass sie so eine gute Verbindung eingehen würde. Weder er noch sie hatten damals geahnt, dass auch diese Heirat eine Farce sein würde, ein Fallstrick für Shigeru. Weil es so wenig Neues gab, was ihre Gedanken beschäftigte, ging Kaede die Ereignisse der Vergangenheit immer wieder durch, während sie in den Garten hinausblickte und fast zusehen konnte, wie jede einzelne Minute verging und die Tage langsam dahinkrochen.
Der Pflaumenbaum begann seine Blätter zu verlieren und ein alter Mann kam in den Garten, um sie einzeln vom moosbedeckten Boden aufzulesen. Kaede musste vor ihm verborgen werden, wie auch vor allen anderen Männern, doch sie beobachtete ihn von ihrem Platz hinter dem Wandschirm. Mit unendlicher Geduld nahm er jedes Blatt zwischen Daumen und Zeigefinger, um das Moos nicht zu beschädigen, und legte es in einen Bambuskorb. Dann kämmte er das Moos, als seien es Haare, entfernte jeden überflüssigen Zweig und Grashalm, die Häufchen der Regenwürmer, Vogelfedern und Borkenstücke. Für den Rest des Tages wirkte das Moos makellos, dann begann sich langsam, unmerklich, die Welt, das Leben wieder darauf anzusiedeln, und am nächsten Morgen musste die ganze Prozedur wiederholt werden.
Auf dem knorrigen Stamm und den Ästen des Pflaumenbaums breiteten sich grüne und weiße Flechten aus und Kaede stellte fest, dass sie auch diesen Vorgang jeden Tag verfolgte. Winzige Ereignisse waren in der Lage sie zu verblüffen. Eines Morgens ragte ein marmorierter Pilz, elfenbeinfarben und blassrosa, aus
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