Der Glanz des Mondes
Cousins von Iida Sadamu namens Iida Nariaki, der, wie wir unterwegs erfuhren, dem Massaker von Inuyama entgangen und nach Westen geflohen war. Von dort erhob er nun offenbar erneut Ansprüche auf die Domäne. Die Lords des Seishuuclans waren gespalten. Maruyama hatte immer an der weiblichen Erbfolge festgehalten, aber es war die letzte Domäne, die einer alten Tradition folgte, die von der Kriegerklasse als Beleidigung empfunden wurde. Nariaki war von seinem Schwiegervater schon vor Lady Maruyamas Heirat adoptiert worden, und viele betrachteten ihn als den rechtmäßigen Erben des Besitzes seiner Frau.
Naomi hatte ihren Mann geschätzt und aufrichtig um ihn getrauert, als er nach nur vier Ehejahren starb und sie mit einer kleinen Tochter und einem neugeborenen Sohn zurückließ. Für sie stand fest, dass ihre Tochter dereinst ihr Erbe antreten würde. Ihr Sohn starb unter ungeklärten Umständen - möglicherweise durch Gift, wie einige behaupteten - und in den Jahren, die auf die Schlacht von Yaegahara folgten, erregte die Witwe Naomi die Aufmerksamkeit des Siegers Iida Sadamu.
»Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie Shigeru bereits kennen gelernt«, sagte ich und bedauerte, über die Umstände dieser Begegnung nichts Genaueres zu wissen. »Und nun bist du ihre Erbin.« Kaedes Mutter war Lady Maruyamas Cousine gewesen und Kaede selbst war die nächste lebende Verwandte der früheren Herrscherin des Clans, da Lady Maruyamas Tochter Mariko zusammen mit ihrer Mutter im Fluss von Inuyama ertrunken war.
»Wenn man mich lässt«, erwiderte Kaede. »Als ihr ältester Gefolgsmann Sugita Haruki mich letztes Jahr aufsuchte, schwor er mir, dass der Clan der Maruyama mich unterstützen würde, aber vielleicht ist Nariaki ja bereits mit seinen Truppen einmarschiert.«
»Dann werden wir ihn eben wieder vertreiben.«
Am Morgen des sechsten Tages erreichten wir die Grenze der Domäne. Kahei ließ seine Männer einige hundert Schritt davor anhalten und ich ritt zu ihm an die Spitze.
»Ich hatte eigentlich gehofft, dass mein Bruder uns hier bereits erwarten würde«, sagte er leise.
Das war auch meine Hoffnung gewesen. Miyoshi Gemba war schon vor meiner Hochzeit mit Kaede nach Maruyama geschickt worden, um die Nachricht unserer bevorstehenden Ankunft zu überbringen. Doch seither hatten wir nichts mehr von ihm gehört. Abgesehen von meiner Sorge um seine Sicherheit hätte ich einige Informationen über die Situation in der Domäne gut gebrauchen können, bevor wir in das Gebiet vordrangen: wo sich Iida Nariaki aufhielt und wie die Bewohner der Stadt zu uns standen.
Die Sperre befand sich an einer Kreuzung. Das Wachhaus lag still da, die Straßen waren menschenleer. Amano nahm Jiro mit und sie ritten ein Stück nach Süden. Als sie wieder auftauchten, rief Amano: »Hier ist eine große Armee durchgekommen: Da sind haufenweise Hufspuren und Pferdeäpfel.«
»Führen die Spuren in die Domäne?«, rief ich.
»Ja!«
Kahei ritt näher an das Wachhaus heran und brüllte: »Ist da jemand? Lord Otori Takeo geleitet seine Frau, Lady Shirakawa Kaede, Erbin von Lady Maruyama Naomi, in ihre Domäne.«
Aus dem Holzhaus kam keine Antwort. Ein bisschen Rauch stieg irgendwo aus einem nicht sichtbaren Kamin auf, ich konnte nichts anderes hören als die Armee hinter mir, das ungeduldige Aufstampfen der Pferde, das Atmen von tausend Männern. Meine Haut kribbelte. Jede Sekunde erwartete ich das Zischen und Klacken von Pfeilen.
Ich trieb Shun an und ritt zu Kahei hinüber. »Lass uns mal einen Blick hineinwerfen.«
Er sah mich kurz an, hatte es inzwischen jedoch aufgegeben, mich zur Zurückhaltung zu ermahnen. Wir saßen ab, riefen Jiro herbei, damit er die Zügel hielt, und zogen unsere Schwerter.
Die Sperre selbst war umgeworfen worden und unter den Massen von Männern und Pferden, die über sie hinweggetrampelt waren, zu Bruch gegangen. Eine seltsame Stille lag in der Luft. Vom Wald schallte das Lied eines Buschsängers herüber, überraschend laut. Stellenweise war der Himmel mit dicken grauen Wolken bedeckt, aber es hatte inzwischen aufgehört zu regnen und von Süden wehte eine milde Brise.
Ich nahm den Geruch von Blut und Rauch wahr. Als wir uns dem Wachhaus näherten, entdeckten wir gleich hinter der Schwelle den ersten Toten. Der Mann war vornüber auf die Feuerstelle gesackt und seine Kleider schwelten noch. Sie hätten Feuer gefangen, wären sie nicht mit dem Blut aus seinem aufgeschlitzten Bauch durchtränkt gewesen. Seine Hand
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