Der Glanz des Mondes
Landwirtschaftliche Geräte, Feuerholz, Reissäcke und Bündel aus Schilfrohr lagerten ordentlich übereinander gestapelt in den Verschlagen hinter jedem Haus. Die Außenfenster waren mit Holzlatten verriegelt und die Stufen zum Eingang bestanden aus roh behauenem Berggestein. Innen jedoch hielten die Häuser zahlreiche Überraschungen bereit: verborgene Verbindungsgänge und Geheimtüren, Tunnels und Keller, falsche Schränke und Böden, unter denen sich notfalls die ganze Dorfgemeinschaft verstecken konnte. Nur wenige wussten von der Existenz des geheimen Dorfes, und von diesen kannten nur ein paar den Weg hierhin; dennoch waren die Muto stets auf einen Angriff vorbereitet. Schließlich bildeten sie hier ihre Kinder in den traditionellen Künsten des Stamms aus.
Die Erinnerung daran löste bei Shizuka unwillkürlich Hochgefühle aus. Ihr Herz schlug schneller. Seit damals hatte nichts, nicht einmal der Kampf im Schloss von Inuyama, sie auch nur annähernd in solche Aufregung versetzt wie jene alten Kinderspiele.
Das Hauptgebäude lag in der Mitte des Dorfes und vor dem Eingang erwartete sie bereits ihre Familie zur Begrüßung: ihr Großvater mit ihren beiden Söhnen und, zu ihrer freudigen Überraschung, an der Seite des alten Mannes ihr Onkel, Muto Kenji.
»Großvater, Onkel«, begrüßte sie die beiden förmlich und wollte ihnen gerade Kondo vorstellen, als der jüngere der Knaben begeistert auf sie zustürzte und seine Arme um ihre Hüften schlang.
»Taku!«, schalt ihn sein älterer Bruder, dann sagte er: »Willkommen, Mutter. Es ist so lange her, seit wir dich das letzte Mal sahen.«
»Kommt und lasst euch ansehen«, sagte sie, erfreut über den guten Eindruck, den beide machten. Sie waren gewachsen und hatten ihren Kinderspeck verloren. Zenko war zu Beginn des Jahres zwölf geworden und Taku zehn. Selbst die Muskeln des Jüngeren waren inzwischen straff und kräftig, und beide hatten einen offenen, furchtlosen Blick.
»Er gerät nach seinem Vater«, sagte Kenji, Zenko auf die Schulter klopfend.
Wahrhaftig, dachte Shizuka mit einem Blick auf ihren älteren Sohn. Er war Arais Ebenbild. Taku, fand sie, hatte mehr das Aussehen der Muto, und im Gegensatz zu seinem Bruder wiesen die Innenflächen seiner Hände auch die gerade Linie seiner Kikutaverwandtschaft auf. Das scharfe Gehör und die anderen besonderen Fähigkeiten hatten sich bei ihm vielleicht schon ausgebildet. Darüber würde sie später mehr erfahren.
Kondo war indessen vor den beiden Mutomeistern auf die Knie gefallen und stellte sich mit Namen und Abstammung vor.
»Er ist es, der mir das Leben gerettet hat«, erklärte Shizuka. »Ihr habt vielleicht davon gehört: Man hat versucht mich umzubringen.«
»Da bist du nicht die Einzige«, sagte Kenji und wechselte einen Blick mit Shizuka, wie um ihr Einhalt zu gebieten, und tatsächlich wollte sie das Thema im Beisein der Jungen nicht zu sehr ausbreiten.
»Wir sprechen später darüber. Ich freue mich euch zu sehen.«
Eine Magd erschien mit Wasser, um den Reisenden den Staub von den Füßen zu waschen.
Shizukas Großvater sagte zu Kondo: »Du bist herzlich willkommen und wir danken dir aus tiefstem Herzen. Vor langer Zeit sind wir uns schon einmal begegnet; damals warst du noch ein Kind, wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr. Bitte komm doch herein und iss etwas.«
Während Kondo dem alten Mann ins Haus folgte, flüsterte Kenji Shizuka zu: »Was ist denn geschehen? Warum bist du hier? Ist Lady Shirakawra wohlauf?«
»Du bist nach wie vor in sie vernarrt, wie ich sehe«, erwiderte Shizuka. »Sie ist Takeo nach Terayama nachgereist. Ich denke, sie werden bald heiraten - trotz all meiner Warnungen, sollte ich hinzufügen. Es ist für beide eine Katastrophe.«
Kenji seufzte leise, doch sie vermeinte den Anflug eines Lächelns in seiner Miene zu erkennen. »Wahrscheinlich eine Katastrophe«, entgegnete er, »aber eine vom Schicksal gewollte.«
Sie traten ein. Taku war vorausgerannt, um seiner Urgroßmutter zu sagen, sie solle Wein und Schalen bringen. Zenko lief schweigend neben Kondo her.
»Danke, dass Sie das Leben meiner Mutter gerettet haben«, sagte er formell. »Ich stehe in Ihrer Schuld.«
»Ich hoffe, dass wir uns kennen lernen und Freunde werden«, erwiderte Kondo. »Gehst du gerne jagen? Vielleicht kannst du mich ja mal in die Berge mitnehmen. Ich habe schon seit Monaten kein Fleisch mehr gegessen.«
Der Junge nickte lächelnd. »Manchmal benutzen wir Fallen und dann,
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