Der Glanz des Mondes
mit Großvater im Hauptraum, alle anderen sind schon zu Bett gegangen.«
»Wo auch du hingehörst«, sagte Shizuka, ihn in ihre Arme ziehend. Sie drückte ihn fest an sich und durch die körperliche Nähe entspannte er sich wie ein kleiner Junge und vergrub das Gesicht an ihrer Brust. Nach einer Weile begann er zu zappeln und nuschelte in ihre Kleidung: »Lass Onkel Kenji nicht warten, Mutter.«
Sie lachte und gab ihn frei. »Ins Bett mit dir.«
»Wirst du morgen früh noch hier sein?« Wieder gähnte er.
»Natürlich!«
Er strahlte sie an. »Ich zeig dir alles, was ich seit dem letzten Mal gelernt habe.«
»Deine Mutter wird staunen«, sagte Miyabi.
Shizuka begleitete ihren jüngeren Sohn ins Frauenzimmer, wo er immer noch schlief. In dieser Nacht würde sie ihn bei sich haben, die ganze Zeit seinen kindlichen Atem hören und am nächsten Morgen beim Erwachen seine entspannten Gliedmaßen und die zerzausten Haare sehen. Sie hatte es so sehr vermisst.
Zenko schlief inzwischen bei den Männern; sie hörte seine Stimme, wie er Kondo gerade nach der Schlacht von Kushimoto fragte, wo er mit Arai gekämpft hatte. Shizuka bemerkte den Anflug von Stolz in der Stimme des Jungen, als er den Namen seines Vaters erwähnte. Wie viel er wohl von Arais Feldzug gegen den Stamm wusste, von seinem Anschlag auf ihr Leben?
Was wird wohl aus ihnen werden?, dachte sie. Wird ihr gemischtes Blut ihnen so viel Unheil bringen wie Takeo?
Sie sagte Taku gute Nacht, durchschritt den Raum und schob die Tür zum nächsten Zimmer auf, wo ihr Onkel und ihr Großvater saßen und sie erwarteten. Shizuka sank vor ihnen auf die Knie, ihre Stirn berührte die Matten. Kenji lächelte und nickte schweigend. Er sah seinen Vater an und hob die Augenbrauen.
»Nun denn«, sagte der alte Mann. »Ich lasse euch wohl besser allein.«
Als Shizuka ihm auf die Beine half, fiel ihr auf, wie stark auch er gealtert war. Sie brachte ihn zur Tür, wo Kana wartete, um ihm zu helfen, sich für die Nacht fertig zu machen.
»Gute Nacht, Kind«, sagte er. »Was für ein beruhigendes Gefühl, dich in diesen dunklen Zeiten hier in Sicherheit zu wissen. Aber wie lange werden wir überhaupt noch irgendwo sicher sein?«
»Er ist sicher allzu pessimistisch«, sagte sie zu ihrem Onkel, als sie zurückkam. »Arais Wut wird sich legen. Er wird einsehen, dass er den Stamm nicht ausrotten kann und dass er Spione braucht, wie jeder andere Kriegsherr. Er wird sich schon mit uns arrangieren.«
»Das sehe ich genauso. Niemand hält Arai auf lange Sicht für ein Problem. Es dürfte nicht allzu schwer sein, sich still zu verhalten, bis er sich wieder beruhigt, genau wie du gesagt hast. Aber es gibt da eine andere Sache, die weitaus ernster sein könnte. Offenbar hat Shigeru uns ein unerwartetes Vermächtnis hinterlassen. Die Kikuta glauben, dass er über unser Netzwerk und seine Mitglieder Buch führte und dass diese Aufzeichnungen sich nun in Takeos Besitz befinden.«
Shizukas Herz schien auszusetzen und es verschlug ihr den Atem. Es kam ihr vor, als hätte sie die Vergangenheit einfach nur durch ihre Gedanken an früher zum Leben erweckt.
»Kann das denn sein?« Sie bemühte sich, normal zu klingen.
»Davon ist Kotaro, der Kikutameister, überzeugt. Ende letzten Jahres schickte er Takeo mit Akio nach Hagi, um die Aufzeichnungen zu suchen und sie ihm zu bringen. Anscheinend begab sich Takeo in Shigerus Haus, begegnete dort Ichiro, entwischte Akio irgendwie und machte sich auf den Weg nach Terayama. Auf der Reise verübten zwei Stammesangehörige und ein Otorikrieger Anschläge auf ihn. Er tötete sie und entkam.«
»Ein Otorikrieger?«, wiederholte Shizuka verständnislos.
»Ja, die Kikuta bauen ihre Kontakte zu den Otori aus, als Verbündete gegen Arai und um Takeo zu eliminieren.«
»Und die Muto?«
»Ich habe meine Entscheidung noch nicht gefällt«, brummte Kenji.
Shizuka hob fragend die Augenbrauen und wartete darauf, dass er fortfuhr.
»Kotaro geht davon aus, dass die Aufzeichnungen im Tempel gehütet wurden, was mir im Nachhinein plausibel erscheint. Dieser raffinierte Matsuda hat das Schmieden von Intrigen auch nach seiner Priesterweihe nie aufgegeben und er und Shigeru standen sich sehr nahe. Ich glaube, ich erinnere mich sogar an die Kiste, in der Shigeru die Aufzeichnungen immer mit sich führte. Unbegreiflich, wie mir das entgehen konnte. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich zu dieser Zeit andere Dinge im Kopf hatte. Die Kikuta sind wütend auf mich
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