Der Glanz des Mondes
Wassers war stärker. Man hatte das befestigte Haus um eine Reihe von Felsbecken gebaut, in denen heiße Quellen sprudelten. Selbst ohne seine gefährlichen Bewohner wäre Oshima, das Tor zur Hölle, eine wilde Gegend gewesen. Über uns qualmte der Vulkan, die Luft roch nach Schwefel, und Dampf stieg von den Oberflächen der Wasserbecken auf, neben denen Felsbrocken aufragten wie versteinerte Tote.
Wir entkleideten uns und glitten in das fast kochend heiße Wasser. Nie zuvor hatte ich so heiß gebadet. Es kam mir vor, als würde mir die Haut abgezogen. Nach den ersten qualvollen Momenten war das Gefühl unbeschreiblich. Die durchrittenen Tage, der schlechte Schlaf, die nächtliche Überfahrt mit dem Boot, alles fiel von mir ab. Ich wusste, dass ich mehr auf der Hut hätte sein müssen - eine Kinderfreundschaft war keine sehr verlässliche Vertrauensbasis -, doch in diesem Moment hätte mich jeder ermorden können und ich wäre wahrscheinlich glücklich gestorben.
Fumio sagte: »Wir haben ab und an Neuigkeiten über dich gehört. Du hast viel erlebt, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind. Es tat mir sehr Leid, von Shigerus Tod zu erfahren.«
»Es war ein schrecklicher Verlust, nicht nur für mich, sondern für den gesamten Clan. Ich bin immer noch hinter seinen Mördern her.«
»Aber Iida ist doch tot?«
»Ja, Iida hat seinen Preis bezahlt, aber es waren die Otorilords, die Shigerus Tod planten und ihn an Iida verrieten.«
»Du willst sie also bestrafen? In diesem Fall kannst du auf die Hilfe der Terada zählen.«
Ich berichtete ihm kurz von meiner Heirat mit Kaede, unserer Reise nach Maruyama und den Truppen, die wir anführten.
»Aber ich muss zurück nach Hagi, um dort mein Erbe anzutreten. Die Otorilords werden es mir nicht kampflos überlassen, also muss ich es ihnen mit Gewalt nehmen. Das ziehe ich ohnehin vor, weil ich sie dabei ebenfalls vernichten werde.«
Fumio lächelte und seine Augenbrauen hoben sich. »Du hast dich verändert, seit wir uns kennen lernten.«
»Ich wurde dazu gezwungen.«
Wir verließen das heiße Becken, zogen uns an und bekamen in einem der zahlreichen Räume des Hauses Essen serviert. Es wirkte wie ein Warenlager, eine Schatzkammer voller kostbarer und schöner Dinge, allesamt vermutlich Diebesgut von Handelsschiffen: Elfenbeinschnitzereien, Vasen aus blassgrüner Keramik, Brokatstoffe, Schalen aus Gold und Silber, Leoparden- und Tigerfelle. Nie zuvor war ich in einem Raum gewesen, in dem so viele Kostbarkeiten ausgestellt waren. Er hatte jedoch nichts von jener zurückhaltenden Eleganz, die ich von den Residenzen der Kriegerklasse kannte.
»Sieh dir ruhig alles ein wenig genauer an«, sagte Fumio, als wir mit dem Essen fertig waren. »Ich gehe und spreche mit meinem Vater. Wenn dir irgendetwas gefällt, dann nimm es ruhig. Mein Vater häuft diese Dinge an, aber sie bedeuten ihm nichts.«
Ich dankte ihm für das Angebot, doch ich wollte auf dem Rückweg nichts mitnehmen. Schweigend saß ich da und wartete auf seine Rückkehr, äußerlich entspannt und dennoch wachsam. Fumio hatte mir einen herzlichen Empfang bereitet, aber ich wusste nichts darüber, welche weiteren Bündnisse die Terada hatten; außer von einem angeblichen Abkommen mit den Kikuta hatte ich nichts gehört. Ich horchte, ortete jeden im Haus, versuchte Stimmen, Akzente zu identifizieren - obgleich mir längst bewusst war, dass, falls dies eine Falle sein sollte, mir kaum eine Fluchtmöglichkeit blieb. Ich hatte mich tatsächlich in die Höhle des Drachen begeben, ganz allein.
Den Drachen selbst - Terada - hatte ich bereits im hinteren Teil des Hauses ausgemacht, hatte seine Stimme Befehle erteilen hören, wie er nach Tee, einem Fächer, Wein verlangte. Sie klang rau, energisch wie die von Fumio, oft leidenschaftlich und ebenso oft wütend, doch zuweilen schwang ein humorvoller Unterton mit. Terada Fumifusa war nicht zu unterschätzen. Er hatte das streng hierarchische System der Clans unterlaufen, sich den Otori widersetzt und seinen Namen zu einem der meistgefürchteten des gesamten Mittleren Landes gemacht.
Schließlich kehrte Fumio zurück und führte mich in den hinteren Teil des Hauses, in einen Raum, der einem Adlerhorst glich, hoch oben über dem Dorf und der Hafenanlage gelegen, mit guter Sicht auf Hagi. In der Ferne konnte ich hinter der Stadt gerade noch die vertraute Bergkette erkennen. Die See lag ruhig da, wie gestreifte Seide, in dunklem Blau, mit Wellen, die rings um die Felsen
Weitere Kostenlose Bücher