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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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schneeweiße Säume bildeten. Dort unten kreiste ein Adler, der kaum größer wirkte als eine Lerche.
    In einem solchen Raum war ich noch nie zuvor gewesen. Selbst das oberste Stockwerk des höchsten Schlosses war nicht so hoch oben oder den Naturgewalten so nah. Ich fragte mich, was wohl geschah, wenn die herbstlichen Taifune die Küste hinauffegten. Doch die Bogenform der Insel schützte das Gebäude; etwas Derartiges zu konstruieren sprach für einen immensen Stolz, ebenbürtig dem eines mächtigen Kriegsherrn.
    Terada saß auf einem Tigerfell, den offenen Fenstern zugewandt. Neben ihm lagen auf einem niedrigen Tisch Karten und Tabellen, die wie Auflistungen von Schiffsladungen aussahen, und daneben ein Rohr, nicht unähnlich einer Bambusflöte. Am anderen Ende des Tisches kniete ein Schreiber, einen Tuschstein vor sich, den Pinsel in der Hand.
    Ich verneigte mich tief vor Terada und nannte ihm meinen Namen und meine Herkunft. Er erwiderte die Verneigung mit ungewöhnlicher Höflichkeit, obwohl an jenem Ort zweifellos niemand die Macht innehatte als ganz allein er.
    »Ich habe von meinem Sohn eine Menge über Sie gehört«, sagte er. »Seien Sie willkommen.« Er bedeutete mir näher zu treten und mich zu ihm zu setzen. Als ich durch den Raum schritt, berührte der Schreiber mit seiner Stirn den Boden und verharrte in dieser Stellung.
    »Wie ich höre, hast du einen meiner Männer zu Fall gebracht, ohne ihn auch nur zu berühren. Wie machst du das?«
    »Als wir noch klein waren, hat er es immer mit den Hunden gemacht«, warf Fumio ein, der mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saß.
    »Ich habe einige solcher Fähigkeiten«, sagte ich. »Ich wollte ihn nicht verletzen.«
    »Stammesfähigkeiten?«, fragte Terada. Zweifellos hatte er sie selbst schon einmal für seine Zwecke in Anspruch genommen und wusste genau, wovon er sprach.
    Ich deutete ein Nicken an.
    Seine Augen verengten sich und seine Lippen wölbten sich vor. »Zeig mir deine Kunst.« Er streckte die Hand aus und versetzte dem Schreiber mit seinem Fächer einen Schlag auf den Kopf. »An diesem Mann hier.«
    »Vergebt mir«, sagte ich. »Was für bescheidene Fähigkeiten ich auch immer habe, sie sind nicht zur Vorführung als Kunststücke geeignet.«
    »Phh«, knurrte er und starrte mich an. »Sie meinen, Sie fuhren es nicht auf Geheiß vor?«
    »Lord Terada haben es treffend formuliert.«
    Es folgte eine unangenehme Pause, dann begann er zu kichern. »Fumio hat mich schon gewarnt, dass Sie sich keine Befehle erteilen lassen. Sie haben von den Otori mehr geerbt als nur die Gesichtszüge; Sie besitzen auch ihre typische Starrköpfigkeit. Nun, ich habe nicht viel Verwendung für Magie, es sei denn, sie ist so beschaffen, dass jeder sie ausüben kann.« Er nahm das Rohr, setzte es an sein eines Auge und kniff das andere zusammen. »Dies hier ist meine Art von Magie«, sagte er und reichte es mir. »Was halten Sie davon?«
    »Halte es ans Auge«, sagte Fumio grinsend.
    Ich wog es vorsichtig in der Hand, versuchte unauffällig daran zu riechen, um festzustellen, ob es vergiftet war.
    Fumio lachte. »Es ist ungefährlich!«
    Ich blinzelte durch das Rohr und schnappte erstaunt nach Luft. Die Berge in der Ferne, die Stadt Hagi schienen mir entgegenzuspringen. Ich nahm das Rohr von meinem Auge und beides war wieder dort, wo es zuvor gewesen war, nebelverhangen und verschwommen. Die Terada, Vater wie Sohn, kicherten jetzt beide.
    »Was ist das?«, fragte ich. Für mich wirkte es nicht wie etwas Magisches. Es war von Menschenhand gemacht.
    »Es ist eine Art Glas, geschliffen wie eine Linse. Sie vergrößert Dinge und holt die Ferne näher heran«, sagte Terada.
    »Kommt es vom Festland?«
    »Wir haben es von einem Schiff, das vom Festland kam, und dort gibt es schon seit langem ähnliche Erfindungen. Aber ich glaube, dieses hier stammt aus einem fernen Barbarenland im Süden.« Er beugte sich vor, nahm es mir wieder ab, schaute selbst hindurch und lächelte. »Stellen Sie sich vor, dass es Länder und Menschen gibt, die solche Dinge herstellen. Wir denken, dass wir hier auf unseren Acht Inseln die ganze Welt sind, doch manchmal habe ich den Eindruck, dass wir rein gar nichts wissen.«
    »Männer berichten von Waffen, die über große Entfernungen mit Bleikugeln und Feuer töten«, sagte Fumio. »Wir versuchen für uns selber welche aufzutreiben.« Er warf einen Blick aus dem Fenster, seine Augen waren erfüllt von rastloser Sehnsucht nach der weiten Welt dort unten. Ich

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