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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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stellte mir vor, dass er die Beschränkung auf diese Insel wie ein Gefängnis empfinden musste.
    Etwas an jenem seltsamen Artefakt vor mir und an den Waffen, von denen er sprach, erfüllte mich mit einer bösen Vorahnung. Die Höhe, in welcher der Raum lag, der steile Abgrund bis zu den Felsen in der Tiefe und meine Müdigkeit riefen ein plötzliches Schwindelgefühl in meinem Kopf hervor. Ich versuchte tief durchzuatmen, doch ich spürte, wie mir kalter Schweiß auf die Stirn trat und es unter meinen Armen zu kribbeln begann. Ich sah voraus, dass ein Bündnis mit den Piraten nur ihre Macht stärkte und eine ganze Flut neuer Ereignisse auslösen musste, welche die Gesellschaft, in der ich mich gerade zu behaupten versuchte, von Grund auf umwälzen würden. In dem Zimmer war es still geworden. Ringsum hörte ich die gedämpften Geräusche des Haushalts, die schlagenden Schwingen des Adlers, das ferne Rauschen des Meeres, die Stimmen der Männer am Hafen. Eine Frau sang leise beim Reisstampfen vor sich hin, eine alte Ballade über ein Mädchen, das sich in einen Fischer verliebte.
    Die Luft schien zu flimmern wie die Meeresoberfläche dort unten, als zöge jemand langsam einen Seidenschleier vom Gesicht der Wirklichkeit. Vor vielen Monaten hatte Kenji mir gesagt, dass in früherer Zeit alle Menschen jene Fähigkeiten hatten, die jetzt nur noch der Stamm besaß - und unter den Stammesangehörigen würde es nur einige wenige geben wie mich. Bald würden auch wir verschwunden sein, unsere Fähigkeiten vergessen, abgelöst durch jene Art technischer Magie, die die Terada so herbeisehnten. Ich fragte mich plötzlich, welche Rolle ich selbst wohl beim Untergang der alten Talente spielte, dachte an die Stammesangehörigen, die ich hatte töten lassen, und empfand urplötzlich brennende Reue. Und dennoch wusste ich, dass ich einen Pakt mit den Terada schließen würde. Ich würde nicht davor zurückschrecken. Und wenn das Weitsicht-Rohr und jene Feuerwaffen mir helfen konnten, würde ich nicht zögern sie einzusetzen.
    Der Raum hörte auf zu schwanken. Mein Blut zirkulierte wieder. Nicht mehr als ein paar Augenblicke waren verstrichen. Terada sagte: »Ich denke, Sie haben mir einen Vorschlag zu unterbreiten. Es würde mich interessieren, ihn zu hören.«
    Ich erzählte ihm, dass Hagi nur vom Meer aus einzunehmen sei. Ich umriss meinen Plan, die Hälfte meiner Armee als Köder vorzuschicken, um die Otori-Streitkräfte am Flussufer zu beschäftigen, während die zweite Hälfte mit der Flotte übersetzen und das Schloss direkt angreifen sollte. Als Gegenleistung für die Hilfe der Terada würde ich sie in Hagi wieder einsetzen und dort eine ständige Kriegsflotte unterhalten, deren Kommando sie führen könnten. Sobald der Frieden wieder hergestellt sei, würde der Clan Expeditionen zum Festland finanzieren, um den Austausch von Wissen und Gütern zu gewährleisten.
    »Ich weiß, wie viel Macht und Einfluss Ihre Familie hat«, schloss ich. »Und ich kann nicht glauben, dass Sie für immer hier auf Oshima bleiben wollen.«
    »Es ist wahr, dass ich gern zu meinem Familiensitz zurückkehren würde«, erwiderte Terada. »Die Otori haben ihn beschlagnahmt, wie Sie wissen.«
    »Er wird Ihnen zurückgegeben werden«, versprach ich.
    »Sie sind ja sehr von sich überzeugt«, schnaufte er amüsiert.
    »Ich weiß, dass ich es mit Ihrer Hilfe schaffen kann.«
    »Wann willst du angreifen?«
    Fumio sah mich mit leuchtenden Augen an.
    »So bald wie möglich. Schnelligkeit und Überraschung gehören zu meinen wichtigsten Waffen.«
    »Wir rechnen jeden Tag mit den ersten Taifunen«, sagte Terada. »Deshalb liegen alle unsere Schiffe im Hafen. Es wird einen Monat dauern, ehe wir wieder in See stechen können.«
    »Dann brechen wir auf, sobald es aufklart.«
    »Sie sind nicht älter als mein Sohn«, sagte er. »Woher nehmen Sie die Überzeugung, eine Armee anführen zu können?«
    Ich erzählte ihm nähere Einzelheiten über unsere Truppen und wie sie ausgerüstet waren, unseren Stützpunkt in Maruyama und die Schlachten, die wir bereits geschlagen hatten. Seine Augen verengten sich und er grunzte und schwieg eine ganze Weile. Ich sah ihm an, dass er einerseits zögerte, andererseits den Wunsch nach Rache hegte. Schließlich schlug er mit seinem Fächer auf den Tisch, was den Schreiber zusammenzucken ließ. Terada verneigte sich tief und sagte, nun einen formelleren Ton anschlagend: »Lord Otori, ich werde Sie bei diesem Vorhaben unterstützen und

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