Der Glanz des Mondes
ich einen weiteren Namen, wäre er derselbe wie der Ihre«, sagte Ryoma.
Ich riss die Augen auf, meine Hand schoss zu Jato, denn im ersten Moment dachte ich, er meine die Kikuta - und dass er ein weiterer ihrer Attentäter sei. Doch er verharrte am Heck des Bootes und ruderte ruhig weiter, wenn auch mit einem Hauch von Bitterkeit. »Von Rechts wegen sollte ich mich ebenfalls Otori nennen dürfen, aber ich wurde von meinem Vater nie anerkannt.«
Sein Schicksal war ein weit verbreitetes. Ryomas Mutter hatte als Magd im Schloss von Hagi gedient, vor ungefähr zwanzig Jahren. Sie hatte die Aufmerksamkeit des jüngsten Otorilords Masahiro erregt. Als ihre Schwangerschaft festgestellt wurde, behauptete er, sie wäre eine Prostituierte und dass das Kind von jedem stammen könnte. Ihrer Familie blieb nichts anderes übrig, als sie an ein Freudenhaus zu verkaufen, und so wurde sie das, zu dem man sie erklärt hatte, und verwirkte damit jede Chance für ihren Sohn, jemals anerkannt zu werden. Masahiro hatte zahlreiche legitime Söhne und kein Interesse an irgendwelchen anderen.
»Obwohl die Leute meinen, ich sähe ihm ähnlich«, sagte Ryoma. Inzwischen waren die Sterne verblasst und der Himmel hatte sich aufgehellt. Mit einem flammenden Sonnenaufgang, ebenso rot wie der Sonnenuntergang am Abend zuvor, brach der neue Tag an. Jetzt, im hellen Licht, wurde mir klar, warum er mir so bekannt vorgekommen war. Er hatte die markanten Gesichtszüge der Otori, die ich ebenfalls besaß, allerdings wie bei seinem Vater gemindert durch ein leicht fliehendes Kinn und furchtsame Augen.
»Es besteht eine Ähnlichkeit«, sagte ich. »Dann sind wir also verwandt.«
Ich sagte Ryoma nichts davon, doch ich erinnerte mich nur allzu deutlich an Masahiros Stimme, als ich ihn bei einem Gespräch belauscht hatte: »Wenn wir alle unsere unehelichen Kinder adoptieren wollten…« Sein Sohn weckte meine Neugierde. Er war das, was aus mir geworden wäre, hätte es nicht eine kleine Abweichung unserer Lebenswege gegeben. Auf mich hatten beide Seiten meiner Familie Anspruch erhoben, auf ihn keine von beiden.
»Und sehen Sie uns an«, sagte er. »Sie sind Lord Otori, Adoptivsohn von Shigeru und rechtmäßiger Erbe der Domäne, und ich bin kaum mehr als ein Ausgestoßener.«
»Du weißt also etwas über meine Vergangenheit?«
»Meine Mutter weiß alles über die Otori«, sagte er lachend. »Außerdem müssten Sie Ihre eigene Berühmtheit doch kennen.«
Seine Art war seltsam, schmeichelnd und ungezwungen zugleich. Ich stellte mir vor, dass seine Mutter ihn verwöhnt hatte, ihn mit falschen Erwartungen und Vorstellungen über seinen Status großzog, ihm Geschichten über seine Verwandten, die Otorilords, erzählte, was ihm Stolz und Unzufriedenheit beschert hatte, kein gutes Rüstzeug, um mit den Realitäten seines Lebens fertig zu werden.
»Ist dies der Grund, warum du dich bereit erklärt hast, mir zu helfen?«
»Zum Teil. Ich wollte Sie kennen lernen. Ich habe für die Terada gearbeitet und bin oftmals auf Oshima gewesen. Man nennt die Insel das Tor zur Hölle, aber ich bin dort gewesen und habe es überlebt.« Seine Stimme klang fast prahlerisch, doch als er fortfuhr, hatte sie einen bittenden Unterton: »Ich hoffte, dass Sie mir im Gegenzug ebenfalls helfen könnten.« Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Werden Sie Hagi angreifen?«
Ich würde ihm nicht zu viel erzählen, vielleicht war er ein Spion. »Ich denke, es ist allgemein bekannt, dass dein Vater und sein älterer Bruder Lord Shigeru an Iida verrieten. Ich mache sie für seinen Tod verantwortlich.«
Er musste grinsen. »Das hatte ich gehofft. Auch ich habe eine Rechnung mit ihnen zu begleichen.«
»Mit deinem eigenen Vater?«
»Ich hasse ihn mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte, einen Menschen zu hassen«, erwiderte er. »Auch die Terada hassen die Otori. Wenn Sie vorhaben, gegen die Otori zu ziehen, werden Sie auf Oshima vielleicht Verbündete finden.«
Dieser Onkel von mir schien kein Dummkopf zu sein. Er wusste sehr genau, was mein Anliegen war. »Ich stehe in deiner Schuld, weil du mich dort hinbringst«, sagte ich. »Für mein Ziel, Shigerus Tod voll und ganz zu rächen, musste ich vielerlei Schulden machen, und ich werde sie allesamt zurückzahlen, wenn ich Hagi eingenommen habe.«
»Geben Sie mir meinen rechtmäßigen Namen«, sagte er. »Das ist alles, was ich will.«
Als wir uns der Insel näherten, erzählte er mir, dass er ab und an hinführe, um
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