Der Glanz des Mondes
dafür, welche Rolle die beiden bei ihrer Festsetzung spielten, weil sie wusste, beide waren wie sie demselben Zwang unterworfen; aber sie schwor sich, Murita für den Tod ihrer Männer und ihres Pferdes bezahlen zu lassen - und sie begann Rieko immer mehr zu hassen.
Während des Zeremoniells kam sie sich vor wie eine von fremder Hand geführte Puppe auf einer Bühne. Ihre Familie wurde durch Shoji und zwei weitere ihrer Gefolgsleute vertreten. Sie erkannte den einen, der ein Bruder von Hirogawa war, jenem Mann, den sie durch Kondo hatte hinrichten lassen, als er sich am Todestag ihres Vaters geweigert hatte, ihr zu dienen. Ich hätte die ganze Familie umbringen sollen, dachte sie bitter. Ich habe mir nur Feinde gemacht, indem ich sie verschonte. Andere Männer von hohem Rang waren anwesend, von denen sie annahm, dass Arai sie geschickt hatte. Sie nahmen sie einfach nicht zur Kenntnis und Kaede erfuhr nicht einmal ihre Namen, ein Umstand, der ihren neuen Status unmissverständlich verdeutlichte: Sie war nicht länger Herrscherin ihrer Domäne, gleichgestellte Verbündete ihres Ehemannes, sondern die zweite Frau eines Edelmannes, die nicht anders zu leben hatte, als er es für passend hielt.
Es war ein kompliziertes Zeremoniell, sehr viel aufwändiger als bei ihrer Hochzeit in Terayama. Die Gebete und Gesänge wollten nicht enden. Der Weihrauch und die Schellen machten sie schwindelig, und als die vorgeschriebenen drei Weinbecher dreimal zwischen ihr und ihrem neuen Gatten hin und her gingen, fürchtete sie in Ohnmacht zu fallen. Sie hatte die ganze Woche über so wenig gegessen, dass sie sich fühlte wie ein Gespenst.
Der Tag war ungewöhnlich drückend und nichts regte sich. Gegen Abend ging ein heftiger Regen nieder.
Kaede wurde in der Sänfte vom Schrein zurückgetragen und Rieko und die anderen Frauen entkleideten und badeten sie. Ihre Haut wurde eingecremt und ihr Haar parfümiert. Man kleidete sie in Nachtgewänder, die kostbarer waren als ihre sonstige Tagesgarderobe. Dann brachte man sie in neue Gemächer, im Herzen der Residenz, die sie nie zuvor gesehen hatte, von deren Existenz sie nicht einmal etwas wusste. Sie waren neu gestaltet worden. Balken und Beschläge glänzten von Blattgold, die Wandschirme waren mit Vögeln und Blumen bemalt und die Böden mit neuen, süß duftenden Strohmatten ausgelegt. Das Regenwetter dämpfte das Licht, aber unzählige Lampen brannten in kunstvoll gearbeiteten Metallständern.
»All dies ist für Sie«, sagte Rieko, und in ihrer Stimme schwang eine Spur von Neid.
Kaede erwiderte nichts. Wozu denn, wenn er ohnehin niemals mit mir schlafen wird?, dachte sie - aber das ging Rieko schließlich nichts an. Dann kam ihr der Gedanke, dass er es vielleicht doch vorhatte, nur ein einziges Mal, so wie er es mit seiner ersten Frau getan hatte, um seinen Sohn zu zeugen. Sie begann vor Abscheu und Angst zu zittern.
»Sie brauchen sich nicht zu fürchten«, sagte Rieko spöttisch. »Es ist ja nicht so, dass Sie nicht wüssten, was Sie von einer Ehe zu erwarten haben… Ja, wenn Sie eine Jungfrau wären, wie es sich gehört…«
Kaede konnte nicht fassen, dass diese Frau es wagte, in einer solchen Art und Weise zu ihr zu sprechen, noch dazu vor der Dienerschaft.
»Schicke die Mädchen hinaus«, sagte sie und fuhr fort, als sie allein waren: »Wenn du mich noch einmal beleidigst, werde ich dafür sorgen, dass man dich aus dem Haus entfernt.«
Rieko ließ ihr leeres, trillerndes Gelächter hören. »Ich glaube nicht, dass meine Herrin ihre Situation richtig einschätzt. Lord Fujiwara wird mich niemals entlassen. An Ihrer Stelle würde ich mir eher Sorgen um meine eigene Zukunft machen. Falls Sie in irgendeiner Art und Weise einen Fehltritt begehen, falls Ihr Verhalten an irgendeinem Punkt hinter den Erwartungen zurückbleibt, die Sie als Lord Fujiwaras Frau zu erfüllen haben, werden Sie selbst es sein, die man entfernt. Sie halten sich für mutig und kühn genug, sich selbst das Leben zu nehmen. Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass es schwerer ist, als es den Anschein hat. Im entscheidenden Moment scheitern die meisten Frauen. Wir hängen zu sehr am Leben, weil wir nun einmal schwach sind.« Sie hob eine der Lampen hoch, so dass ihr Schein auf Kaedes Gesicht fiel. »Sie haben wahrscheinlich Ihr Leben lang zu hören bekommen, wie schön Sie sind. Aber Sie sind jetzt schon weniger schön als noch vor einer Woche, und in einem Jahr wird es noch weniger geworden sein. Sie haben Ihren
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