Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Einwohner Wintons würden erschüttert sein, wenn sie von ihrem Tod erfuhren. Elena wusste nicht, wie viel sie noch ertragen konnte. Sie weinte und weinte und glaubte, nie im Leben mehr aufhören zu können.
Marcus hatte eine unruhige Nacht. Seit Stunden versuchte er, in den Schlaf zu finden, doch es gelang ihm nicht. Er stand auf und öffnete weit das Fenster. Unentwegt musste er an das denken, was Lyle ihm gesagt hatte. Seit Tagen schon ging ihm das nicht mehr aus dem Kopf. Er setzte sich auf den Fenstersims und sah auf die Straße. Das Mondlicht beschien das Gebäude schräg gegenüber. Eine Gestalt saß auf einer Bank draußen vor dem Hospital, und irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Marcus hatte ein seltsames Gefühl. Wer war das? Er brauchte eine Weile, ehe er begriff – es war seine Mutter, und wenn er sich nicht täuschte, schluchzte sie herzzerreißend.
Elena versuchte, sich zu beruhigen, doch es hatten sich zu viele schmerzliche Gefühle in ihr aufgestaut. Zu oft hatte sie ihre Tränen zurückhalten, ihre Sorgen verbergen müssen. Sie konnte einfach nicht mehr stark sein.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und sie spürte durch die Schwesterntracht die Wärme. Es war nett von Neil, dass er nach ihr schauen gekommen war, er war immer so mitfühlend und verständnisvoll. Sie legte ihre Hand auf seine, wandte sich ihm aber nicht zu.
»Ich komme gleich wieder herein, Neil. Tut mir leid, dass ich die Nerven verloren habe, es ist einfach ein so schrecklicher Tag gewesen. Es ist mir peinlich, dass Sie mich so sehen, aber Lauras Tod zusätzlich zu all dem anderen, was ich zurzeit mitmache, war einfach mehr, als ich ertragen konnte. Ich komme gleich wieder zurück an die Arbeit.«
»Mamma, ich bin es«, sagte Marcus.
Überrascht drehte sich Elena um. Im Licht der Krankenhauslaterne konnte Marcus sehen, dass ihre Augen rot verquollen waren, das Gesicht tränennass. Sie fischte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und tupfte sich die Wangen ab.
»Marcus! Was machst du denn hier um diese nachtschlafende Zeit?«
»Ich habe dich von meinem Fenster aus gesehen«, antwortete Marcus.
Sie wusste, er konnte nie schlafen, wenn er Kummer hatte. »Stimmt irgendwas nicht? Geht es dir nicht gut?«
»Es ist alles in Ordnung.« Er setzte sich auf die Bank neben sie. »Aber dir geht es nicht gut. Was ist denn los, Mamma? Warum weinst du?«
Elena schniefte. »Mrs. Pettigrove ist gerade eben gestorben.«
»Ah. Sie war aber schon sehr alt, oder?«
»Ja, nicht viele Menschen erleben beinahe ihren hundertsten Geburtstag.«
»Dann solltest du nicht so traurig sein. Sie konnte schließlich nicht ewig leben.«
Verblüfft sah Elena ihren Sohn an. »Da hast du Recht. Ich habe deine klugen Bemerkungen so vermisst«, sagte sie, und wieder rannen ihr die Tränen die Wangen hinunter.
»Und ich habe dich vermisst, Mamma. Ich wollte dir sagen, es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war.«
Elenas Unterlippe zitterte. »Ach, Marcus«, sagte sie und nahm ihren Sohn in die Arme. »Und mir tut es leid, dass ich dir so sehr wehgetan habe«, flüsterte sie.
»Vor ein paar Tagen habe ich mit Dr. MacAllister gesprochen. Er hat mir erzählt, was passiert ist, als ihr euch damals kennengelernt habt.«
Elena sah auf. »Das hat er dir erzählt?«, fragte sie überrascht.
»Ich verstehe jetzt, dass du nur getan hast, was du damals für das Beste hieltest. Du warst in einer schwierigen Lage, und ich hätte nicht so hart über dich urteilen sollen.«
Elena konnte kaum fassen, wie reif und erwachsen ihr Sohn sich anhörte. Sie war Lyle unendlich dankbar, dass er ihm geholfen hatte, alles zu verstehen, und sie war überwältigt von Stolz.
Luigi wachte auf und horchte. War da ein Geräusch? Er war sicher, dass er etwas gehört hatte. Leise, um Luisa nicht zu wecken, stand er auf und ging durchs Haus. Er schaute in alle Räume. Als er Marcus nicht in seinem Bett fand, geriet er in Panik. Er rannte zur Tür und fand sie angelehnt. Marcus musste wieder weggelaufen sein. Ihm fiel ein, wie nachdenklich sein Enkel in den letzten Tagen gewesen war. Hoffentlich tat er sich nichts an.
»Luigi!«, rief Luisa, die ihren Mann an der geöffneten Haustür stehen sah. »Was machst du hier? Ich bin aufgewacht und du warst nicht mehr in deinem Bett.« Als er nicht antwortete, ging sie zu ihm. »Ist alles in Ordnung mit dir, Luigi?«
»Sì« , sagte er.
»Was gibt es denn da draußen zu sehen mitten in der Nacht?«, fragte sie. Sie sah, dass er
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