Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
nicht mehr. Es gefällt mir gar nicht, meinen Sohn so zurückgezogen zu erleben. Das ist nicht natürlich und auch nicht gesund. So die Kontrolle über seine Körperfunktionen zu verlieren ist für jeden schlimm, erst recht für einen Jungen in seinem Alter – er tut mir wirklich leid. Jamie erwartet zudem, dass sein Vater sein Problem löst, weil er doch Arzt ist. Ich bin mit meinem Latein am Ende.«
»Ich verstehe, wie du dich fühlst, Junge«, sagte Tom.
»Zum Glück gibt es bald Weihnachtsferien, dann muss er nicht in die Schule.«
»Hat er irgendwo am Körper einen Hautausschlag?«, erkundigte sich Tom nachdenklich.
Es gefiel ihm, dass Lyle ihn um Rat fragte. So hatte er das Gefühl, noch nützlich zu sein. Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, wenn es nicht sein Enkel wäre, um den sie sich sorgten.
»Nein, einen Hautausschlag hat er nicht. Mit seinen Hirnströmen scheint auch alles normal zu sein, ich glaube also, dass keine neurologischen Probleme vorliegen. Beim ersten Krampfanfall hatte er einen grippalen Infekt, aber der ist längst ausgeheilt, und die Krämpfe kommen trotzdem immer wieder.«
»Weißt du, dass Robbie als Kind ein ganz ähnliches Problem hatte?«, fragte Tom. Das hatte er beinahe schon vergessen. Es war so viele Jahre her.
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Das überrascht mich nicht. Du warst ja noch ganz klein damals und Robbie kaum aus dem Säuglingsalter heraus, als es das erste Mal passierte. Als er in die Schule kam, war er aus dem Problem herausgewachsen.«
»Hast du die Ursache gefunden?«
»Schließlich ja, aber es hat eine ganze Weile gedauert. Es war Tetanie, und Ursache war, soweit ich noch weiß, Kalziummangel. Mina hat dafür gesorgt, dass er mehr Kalzium mit der Nahrung bekam, und die Krämpfe ließen nach, bis sie sich dann ganz einstellten. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, fällt es mir wieder ein; ich habe mal gelesen, dass es eine erblich bedingte Krankheit ist, allerdings hatte ich davon in unserer Familie vorher noch nicht gehört. Natürlich haben wir auf der Seite deiner Mutter nicht viel, worauf wir uns stützen können. In den hinteren Highlands wurden nur sehr wenige Dokumente aufbewahrt.«
»Du könntest da wirklich auf etwas gestoßen sein, Dad«, meinte Lyle, der ganz aufgeregt war, weil sie womöglich die Ursache für die plötzliche Erkrankung seines Sohnes gefunden hatten. »Ich werde gleich morgen ein paar Bluttests machen.«
»Als ich damals wegen Robbies Problem Nachforschungen anstellte, konnte ich ein paar ungewöhnliche Ursachen für Fieber bei Patienten feststellen. Schon im 17. Jahrhundert tauchte eine milde Form von Malaria in feuchten Niederungsgebieten in Europa auf, darunter auch auf den Britischen Inseln.«
»Wer hätte gedacht, dass es in Europa Malaria gibt.«
»Die Krankheit trat in den letzten Jahren wieder vermehrt auf. Ich will nicht behaupten, dass Malaria die Ursache für die Probleme des kleinen Jamie ist, aber das sollte man im Auge behalten, wenn hohes Fieber andauert, jedoch kein offensichtlicher Grund zu finden ist.« Plötzlich lachte Tom auf. »Einmal hatte Angus Ferguson andauernde hohe Temperatur, und ich meinte spaßeshalber, er habe vielleicht Malaria. Du weißt ja, er hat immer gern Geschichten erzählt über Sachen, die er in seiner Jugend gemacht hat. Wir haben ihm nie ein Wort davon geglaubt, aber jedem, der es hören wollte, erzählte er, ich hätte Malaria bei ihm festgestellt, weil er fand, das klänge so exotisch. Und bei der Gelegenheit tischte er immer eine wilde Dschungelgeschichte auf. Die fällt mir jetzt nicht mehr ein, aber ich glaube, sie hatte zu tun mit einer Dschungeltour im Amazonasgebiet. Später stellte sich heraus, er hatte eine Blasenentzündung, aber von den Symptomen hatte er mir nichts gesagt, weil er nicht wollte, dass ich bei ihm Inkontinenz vermutete. Sogar, als ich dann irgendwann die richtige Diagnose stellte, stritt er es ab. Er bestand darauf, Malaria zu haben.«
Lyle musste schmunzeln. »Aber ich glaube, du bist mit diesem Kalziummangel wirklich auf etwas gestoßen, Dad. Der kleine Jamie weigert sich, Milch zu trinken, und Käse mag er auch nicht.«
11
Elena stand wie jeden Freitagabend auf der Veranda ihres Hauses auf der Barkaroola Farm und hielt Ausschau nach der großen Staubwolke, die Luigis und Luisas Lieferwagen ankündigte. Wenn sie diese sah, lächelte sie, denn das bedeutete, dass ihr ältester Sohn nach Hause kam. Marcus war inzwischen sieben Jahre alt und
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