Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Stimme nicht zu reagieren und verdrehte die Augen. »Jamie, kannst du mich hören?«, fragte Millie panisch.
Seit sich Tom MacAllister zwei Jahre zuvor nach einem leichten Schlaganfall zur Ruhe gesetzt hatte, war noch ein weiterer Arzt von Lyle engagiert worden, aber in der Praxis gab es mehr zu tun denn je, vor allem wegen der Erkältungen und grippalen Infekte, die stets mit dem Herbst kamen und den ganzen Winter über anhielten. Das bedeutete, dass er oft spät nach Hause kam.
Millie rannte ans Fenster und öffnete es. Eisige Luft schlug ihr entgegen, die ihr den Atem nahm. »Hilfe! Ich brauche Hilfe!«, rief sie, aber der Wind peitschte ihre Stimme weg. Was sollte sie tun? Bei dem Wetter konnte sie nicht in die Praxis laufen. Aber selbst wenn es besser gewesen wäre – niemals würde sie Jamie in diesem Zustand allein lassen. Sie schlug das Fenster wieder zu und lief zu Jamie zurück. Millie strich ihm über das schweißverklebte Haar, wischte ihm den Schaum vom Mund und wimmerte verzweifelt. »Mein Kleiner, alles wird gut. Ich bin bei dir.«
Millie sah erleichtert, dass die Muskelkrämpfe etwas nachließen. Jamie zuckte nur noch leicht. Millie hätte ihn gern hochgehoben und auf die Couch gelegt, aber für seine sieben Jahre war er ein kräftiger Junge, und sie wusste, dass er zu schwer für sie war. Was ist nur mit ihm?, dachte sie verzweifelt. Er hatte eine Erkältung, aber die hatte fast jeder bei diesem Wetter. Das konnte nicht der Grund dafür sein, dass es ihm so schlecht ging.
In dem Moment hörte sie die Haustür.
»Lyle«, rief Millie. »Lyle, komm schnell!«
Lyle hörte die Dringlichkeit in ihrer Stimme und kam durch das Wohnzimmer in die Küche gelaufen, seine Arzttasche hielt er noch unter dem Arm. Als er seinen Sohn auf dem Boden liegen sah, blieb Lyle beinahe das Herz stehen.
»Was ist passiert?«, erkundigte er sich, kniete sich neben den Jungen. Mit dem Auge des Arztes erfasste er schnell seinen Zustand.
»Ich weiß nicht«, rief Millie. »Ich stand mit dem Rücken zu ihm an der Spüle. Er hat sein Abendessen gegessen, und dann muss er vom Stuhl gefallen sein. Was ist mit unserem Jungen, Lyle?« Nun, da ihr Mann zu Hause war, gab Millie ihren Gefühlen nach und ließ den Tränen freien Lauf.
Verwirrt sah Millie, wie Lyle seinen Sohn hochhob und ihn auf den Teppich im Wohnzimmer legte. Lyle zog seinen schweren Wintermantel aus und dann das Jackett, das er Jamie unter den Kopf legte, schließlich schob er die Möbel so weit weg von ihm, wie er konnte. Speichel lief Jamie aus den Mundwinkeln, und als Lyle die Stirn des Jungen berührte, merkte er, dass sie sehr heiß war. Er lockerte Jamie die Kleidung und drehte ihn dann auf die Seite.
»Sag mir, was du beobachtet hast, Millie«, verlangte er.
»Was meinst du? Ich hab dir doch erzählt …«
Lyle richtete sich auf und sah seine Frau eindringlich an. Es war noch nie Millies Art gewesen, ihre Gefühle im Zaum zu halten oder in einer Krise einen kühlen Kopf zu bewahren.
»Die Einzelheiten sind wichtig, Millie. Sag mir alles, was du beobachtet hast.« Irritiert schaute Millie auf ihr Kind. »Haben sich seine Muskeln verkrampft und wieder entspannt?«
Millie dachte nach. »Ja, und er hat die Augen verdreht, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Das ist das Erschreckendste, was ich je erlebt habe, Lyle. Was ist mit ihm? Sag es mir! Wird er wieder gesund?«
»Hat er die Zähne zusammengebissen?«
»Ich weiß nicht … doch, ich denke, ja.«
»Wie lange hat der Krampf gedauert?«
»Der Krampf?« Millie sah ihren Mann angsterfüllt an.
»Beruhige dich«, sagte Lyle, als er ihre Furcht sah. »Er scheint Fieber zu haben, und das kann bei einem Kind Muskelkrämpfe verursachen.« Lyle sagte nicht, dass es bei Kindern, die älter als sechs Jahre waren, nur sehr selten vorkam. Im Mai war Jamie sieben geworden. »War irgendwas an seinem Verhalten vor dem Krampf ungewöhnlich?«
»Nein … ich glaube nicht. Wir haben über die Schule geredet und seine Freunde …«
»Hat er grundlos gelacht, oder ist er grundlos wütend geworden?«
»Nein.«
»Hat er sich an der Kleidung gerissen?«
Millie riss die Augen auf. »Das hat er tatsächlich gemacht. Ich habe ihm gesagt, er soll das lassen.« Auf einmal wurde sie von Schuldgefühlen überwältigt. »Ich habe ja nicht gewusst, dass das etwas zu bedeuten hatte.«
»Das hättest du auch gar nicht wissen können, Millie. Ich will ihn ins Krankenhaus bringen und ein paar Untersuchungen machen
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